Im September 1942 sah es aus, als würde die deutsche 6. Armee endgültig den Widerstand der Sowjets in Stalingrad brechen. Oberbefehlshaber General Paulus hatte noch einmal Verstärkungen erhalten, frische Divisionen und Sturmpioniere. Sie sollten die Rote Armee aus dem schmalen Streifen drücken, den sie noch besetzt hielt und die Russen in die Wolga werfen (Lesen Sie: "Hitlers Versuch, die Wehrmacht-Soldaten in Stalingrad zu retten, scheiterte jämmerlich").
Die Eroberung der Stadt war sehr viel schwerer, als die Deutschen angenommen hatten. Die Truppen der Roten Armee durften nicht zurückweichen. Um die Überlegenheit der deutschen Luftwaffe und Artillerie auszugleichen, rückten die Rotarmisten extrem eng an die Stellungen der Wehrmacht heran. Häufig waren die Gegner nur zehn oder 20 Meter voneinander entfernt.
Der gnadenlose Rattenkrieg
Damals begann die russischen 62. Armee eine neue Taktik für den Häuserkampf auszuprobieren. Sie stellten spezielle Stoßtrupps zusammen. In ihnen wurden die Veteranen der Einheiten versammelt. Denn auch der Kommandant der 62. Armee, Wassili Tschuikow, hatte erkannt, dass die Deutschen mit unausgebildeten Neulingen nicht zu besiegen waren.
Die Männer gaben ihre Gewehre ab und wurden mit der russischen Maschinenpistole PPSch-41 bewaffnet. Anders als die deutsche Schmeisser-MP versagte sie nie, dazu fasste ihr Trommelmagazin 71 Schuss. Die Gruppe bekam Handgranaten und Maschinengewehre und wenn möglich eine leichte Antipanzerkanone. Die konnte von den Männern gezogen werden und wurde benutzt, um Häuser zu stürmen, nachdem man zuvor ein Loch durch die Wand geschossen hatte.
Da die Maschinenpistolen kein Bajonett tragen konnten, entdeckten die russischen Soldaten ihre bis heute andauernde Vorliebe für angeschliffene Spaten. Der Kampf um die Häuser wurde Mann gegen Mann mit Messer und Spaten ausgetragen. Die Deutschen gaben dieser Phase der Schlacht den Namen "Rattenkrieg".
Der Kampf war gnadenlos. Während oben in den Häusern die Soldaten um jedes Stockwerk kämpften, saßen in den Kellern und der Kanalisation Frauen und Kinder. Sie waren absichtlich nicht evakuiert worden, damit die Rotarmisten entschlossener kämpfen.
Bollwerk vor dem Wolga-Ufer
Und am stärksten tobte der Rattenkrieg um "Pawlows" Haus. Heute ist von dem viergeschossigen Wohnblock nur noch ein Mauerfragment zu sehen. In der Nacht des 23. September rückte eine Gruppe der 13. Gardeschützen-Division gegen das Haus vor. Es saß zwischen den deutschen Stellungen, überblickte die Umgebung und schützte das Wolgaufer, das noch von den Sowjets gehalten wurde.
Der Einheit gelang es, das Gebäude einzunehmen und die deutsche Besatzung zu vertreiben. Doch von den 30 Mann des Zuges überlebten nur vier Soldaten. Der Leutnant war tot, alle Oberfeldwebel waren tot, und Feldwebel Pawlow war nun der Ranghöchste. Dazu kamen zehn Zivilisten, die im Keller eingeschlossen worden waren. Später wurden Pawlows Männer durch 25 Mann unter Leutnant Iwan Afanassijew verstärkt.
Sechzig Tage lang hielten sie das Gebäude gegen wütende Angriffe der deutschen 295. Infanteriedivision und Teilen der 14. Panzerdivision. Vom Dach aus soll es den Russen gelungen sein, deutsche Panzer mit einer sogenannten Panzerbüchse abzuschießen. Diese PTRS war bis zum Ende des Krieges in Gebrauch, konnte aber die Panzerung der deutschen Panzer eigentlich nicht durchdringen, doch vom Dach des Hauses aus konnte man die nur unzureichend geschützte Oberseite des Panzers beschießen. Umgekehrt war der Neigungswinkel der Rohre der deutschen Panzer zu klein, um die Stellungen oben im Haus zu erreichen.
Später im Krieg entwickelten die Sowjets spezielle Waffen gegen solche befestigten Häuser. Sie montierten verkürzte schwere Kanonen auf kleine Schlepper und feuerten gewaltige Minen direkt in die Häuser, der Luftdruck der Explosion zerstörte dann alles. Doch 1942 verfügten die Deutschen nicht über solche Mittel.
Die Deutschen mussten über einen offenen Platz
Rund um das Haus wurden Stacheldraht und Minen verlegt und tiefe Schützenlöcher in den Trümmern angelegt. Um die vorgelagerte Position zu versorgen, trieben die Russen unterirdische Stollen voran.
Auf dem ganzen Platz verwesten die Leichen der Deutschen, es war wegen der Scharfschützen unmöglich, die Toten zu bergen. Der Qualm der Brände und die Explosionen der Geschosse wurden Tag und Nacht von einer unheimlichen Musik unterlegt. Pawlows Männer fanden ein altes Grammophon in dem Gebäude mit nur einer Platte und spielten sie unentwegt ab.
Trotz aller Anstrengungen gelang es den Deutschen zwei Monate lang nicht, die Russen aus dem Haus zu vertreiben. Bei jedem Angriff mussten sie über den offenen Platz des "9. Januar". So unübersichtlich die Trümmerlandschaft am Boden auch war, von den oberen Stockwerken konnten die Deutschen mit Maschinengewehren leicht beschossen werden. Nachts mussten die Rotarmisten aus dem Haus herauskriechen und die Leichen von den Einstiegen und Fenstern wegziehen, um wieder ein freies Schussfeld zu bekommen. Wegen ihrer Verluste überschätzte die deutsche Führung die Mannstärke der Besatzung bei Weitem. Wassili Tschuikow sagte später, dass die Deutschen mehr Männer beim Versuch Pawlows Haus einzunehmen verloren hätten als bei der Eroberung von Paris.
Erstaunlich viele Männer der ersten Besatzung überlebten die Schlacht, selbst die zehn Zivilisten konnten gerettet werden. Pawlow und einige seiner Männer wurden als "Held der Sowjetunion" ausgezeichnet. Dass ein einfacher Feldwebel sich an Stalins Befehl "Kein Schritt zurück" klammerte und eine ganze deutsche Division aufhielt, sollte die Moral im Land stärken. Pawlow überlebte den Krieg und starb im Jahr 1981.
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