Rschew gilt als verlustreichste Schlacht des Zweiten Weltkrieges. Auf über 1,2 Millionen Menschen werden die Verluste beim Ringen um einen deutschen Frontvorsprung 100 Kilometer vor Moskau geschätzt. Und doch hat sie es nicht ins kollektive Gedächtnis geschafft. Rschew ist eine "vergessene Schlacht." Sie ist eine lange Abfolge verschiedener Operationen, die das ganze Jahr 1942 bis zum März 1943 andauerten.
In deutscher Perspektive ging sie zwischen der Niederlage vor Moskau und der Katastrophe von Stalingrad unter. In der UdSSR kehrte man die Schlacht unter den Teppich. Auch wenn die Rote Armee am Ende siegreich war, waren die sowjetischen Operationen eine Abfolge von Fehlentscheidungen, denen Hunderttausende von Rotarmisten zum Opfer fielen.
Spätes Denkmal für Rschew-Gefallene
Erst jetzt wurde der Schlacht, in der so viele Sowjetsoldaten fielen, ein Denkmal gesetzt. Auf den ersten Blick fügt sich das neue Monument nahtlos in die Sowjet-Ästhetik vergleichbarer Mahnmale aus den 1950er-Jahren ein, als der sozialistische Realismus von Moskau verordnet wurde. Auch hier steht ein überdimensionierter Soldat von 25 Metern Höhe auf einem gigantischen Podest. Die Unterschiede liegen in den Details. Denn der Soldat von heute unterscheidet sich in der Haltung von den kämpferischen, trotzigen Posen der Stalin-Zeit. Sein Gesicht ist nach wie vor heroisch idealisiert, doch der schöne Soldat blickt nachdenklich zu Boden. Sein Oberkörper ist realistisch ausgebildet, nach unten löst sich der Mann in einen Schwarm von Kranichen auf.

In Russland gelten die Vögel seit dem Film "Die Kraniche ziehen" von 1957 als Symbol der Gefallenen. Der Film gewann damals die "Goldene Palme" von Cannes. Auch eines der populärsten Lieder der UdSSR über den Krieg heißt "Kraniche" und beschwört das Motiv.
"Manchmal denke ich, dass all die gefallenen Soldaten,
die, die blutigen Kampfzonen nie verlassen haben,
sie wurden dort nicht für Schimmel und Verfall begraben.
Sie verwandelte sich in weiße Kraniche, die leise krächzen."
Die Schlacht von Rschew ist eine Schlacht der Opfer – schon immer trägt sie Beinamen wie das Schlachthaus, der Abgrund oder "der Fleischwolf". In einem russischen Dokumentar-Film von 2013 heißt es dann auch "Briefe aus dem russischen Verdun".
Am 24. Oktober wurde die Stadt Rschew von deutschen Truppen besetzt. Der nahe gelegene Höhenzug war eine wichtige Ausgangsbasis für den deutschen Angriff auf die sowjetische Hauptstadt. Den Deutschen gelang es nicht, Moskau einzunehmen. Zuerst fror ihre Offensive im russischen Winter fest, dann warfen frische Truppen aus Sibirien die Invasoren zurück. Doch anders als später in der Schlacht um Stalingrad gelangen den Sowjets keine Durchbrüche und keine tiefen Operationen. Um Rschew drückten sie mit mehreren Offensiven die deutschen Stellungen nur mühsam zurück.
Hier traf Hitlers Taktik des Haltens um jeden Preis auf die gnadenlose Hartnäckigkeit Stalins und des sowjetischen Oberkommandos, die damals noch glaubten, mit brutaler Gewalt den deutschen Frontvorsprung eindrücken zu können.

Meister der Verteidigung
Und vielleicht wäre es ihnen gelungen, die deutschen Kräfte komplett abzuschneiden. Doch auf deutscher Seite trat ihnen Feldmarschall Walter Model entgegen. Model war ein überzeugter Nationalsozialist, der mit brutaler Härte gegen die Zivilbevölkerung und gegen Ende des Krieges auch gegen eigene Soldaten vorging. Zu einem Verfahren wegen seiner Kriegsverbrechen kam es nur nicht, weil er sich selbst 1945 tötete.
Doch Model war ein Meister der Verteidigung. Dem russischen Ansturm begegnete er nicht mit einer starren Rundum-Verteidigung, die wegen der Länge der Frontlinien aussichtslos war. Model war ein Meister darin, auch in der unterlegenen Position entscheidende Gegenangriffe platzieren zu können. Dazu genoss er das Vertrauen Hitlers, der ihm mehr Freiheiten als anderen Kommandeuren zubilligte. Als er im Hauptquartier erschien, fragten ihn die Offiziere der Legende nach, welche Reserven er mitbrächte, Models Antwort lautete: "Mich!"
Models Spitzname war "Hitlers Feuerwehrmann", weil es ihm immer wieder gelang, zusammenbrechende Frontabschritte zu stabilisieren.
Gegen dieses militärische Genie setzten die Sowjets auf eine Taktik plumper Gewalt. Im Jahr 1942 war die Rote Armee noch weit davon entfernt, große Offensiven meisterlich zu planen und durchzuführen. Die reine Überlegenheit an Material und Soldaten sollte den Sieg erzwingen. Tatsächlich verwandelte diese Methode die Schlachtfelder von Rschew in eine apokalyptische Landschaft.
Die Deutschen waren 1942 noch in der Lage, eine gut ausgebaute und gestaffelte Hauptkampflinie mit Bunkern, Grabensystemen und tiefen Drahtverhauen aufzubauen. Gegen sie sollten die Sowjets anstürmen, immer noch in langen Dreier-Wellen. Der russische Film Rschew von 2019 ist kein Meisterwerk wie "Die Kraniche ziehen", zeigt aber schonungslos und in sehr brutalen Bildern, wie die russischen Soldaten verheizt wurden und schlecht ausgerüstet zum Sturm ansetzen mussten.
Eine Welt verwesender Toter
Pjotr Mikhin schrieb in seinen Memoiren: "Wir haben Rschew über Leichenfelder angegriffen. Im Verlauf der Schlachten tauchten viele "Täler des Todes" und "Haine des Todes" auf. Es gibt für den Soldaten keine Möglichkeit, so ein Tal des Todes zu umgehen: Ein Telefonkabel wird darübergelegt – dann wird es unterbrochen, und es muss wieder schnell verbunden werden um jeden Preis. Also kriechen Sie an den Leichen entlang, und sie sind zu drei Schichten aufgetürmt, geschwollen, voller Würmer, und strahlen einen widerlich-süßlichen Geruch wegen der Zersetzung des menschlichen Körpers aus. Dieser Gestank hängt regungslos über dem ganzen "Tal". Die Explosion der Granaten drückt Sie unter die Leichen, der Boden zittert, die Leichen fallen auf Sie, mit Würmern überschüttet, ein Brunnen schädlichen Gestankes trifft Ihr Gesicht."
Das Tagebuch des jungen deutschen Soldaten Eggert schildert, zu welch aussichtslosen Angriffen die Rotarmisten gezwungen wurden. Die Hälfte wurde ohne eigene Waffe in den Sturmangriff getrieben, sie sollten sich das Gewehr eines Gefallenen greifen. Stalin sagte, Blut ist Zeit und Blut war damals billig.
Der Schriftsteller Tsvetkov beschrieb ganz ähnlich den Moment, in dem seine Panzerbrigade in den Kampf geschickt wurde: "Das gesamte Gelände war mit Leichen von Soldaten bedeckt, um sie herum nur Gestank und Gestank. Viele Soldaten erbrachen sich immer wieder. Der Geruch faulender Menschen ist für den Körper unerträglich. Ein unheimliches Bild, so etwas hatte ich noch nie gesehen."
Mitten in diesem Inferno hielten die Zivilisten aus. Zu Beginn des Krieges war die ländliche Bevölkerung gegenüber den Deutschen zumindest teilweise sehr freundlich gesinnt. Man glaubte an eine Befreiung vom Stalinismus. Die deutsche Besatzungspolitik lehrte allerdings schnell das Gegenteil. Major H. Meier-Welker von der 251. Infanteriedivision notierte in seinem Tagebuch: "Drüben auf der Höhe schlagen russische Granaten ein, am Waldrand weiden Pferde, eine deutsche Batterie schießt nahe einem Gehöft, vor den Häusern spielen Kinder, als ob Mündungsfeuer und Krach nicht wären. Auf ein Dorf in der Nähe kommt ein russischer Artilleriefeuerüberfall und trifft einige unserer Leute, eine Bauersfrau bettet weinend einen Kanonier, dem ein Granatsplitter den Leib aufgerissen hat, und hält ihm den Kopf. Die Bewohner weichen meistens selbst in größter Gefahr nicht von der Scholle."
Deutsche Mordmaschine
Im Frontvorsprung kommt es immer wieder zu Plünderungen und Übergriffen, die damals bei einem Teil der Truppen noch streng geahndet wurden. Doch die Mordmaschine der Nationalsozialisten war auch hier angelaufen. In Rschew gab es ein KZ, Zivilisten wurden zur Zwangsarbeit verschleppt, in zwei Massengräbern bei Rschew wurden etwa 70.000 Zivilisten verscharrt. Nur 150 Menschen konnten in der Stadt am Ende von der Roten Armee befreit werden. Anatolij Projdakow schilderte als alter Mann in seinem Dorf die deutschen Gräueltaten. "Dort haben sie meine Mutter umgebracht. Sie haben sie vergewaltigt, ihr dann die Zähne ausgeschlagen, die Hände gebrochen und sie mit vier Bajonettstichen getötet. Es war ein Übergriff, die Deutschen selbst haben die Mörder hingerichtet. Ich hatte Glück, eine Tante rettete mich."
Das Schlachten dauert insgesamt 15 Monate. Die Deutschen klammerten sich zäh an diese Position, aus der zumindest theoretisch immer noch die Hauptstadt Moskau bedroht werden konnte.
Eine große Panzeroffensive, mit der die Deutschen wiederum die Rote Armee im August 1942 aushebeln wollten, das "Unternehmen Wirbelwind", versandete unter hohen Verlusten. Über sie sagte Hitler später: "Unser kapitalster Fehler in diesem Jahr ist der Angriff gegen Ssuchinitischi gewesen. Das war ein Beispiel mit der Überschrift: So darf man keinen Angriff ansetzen."
Umgekehrt liefen die Deutschen immer Gefahr, dass der lange Frontvorsprung an der Basis abgeschnitten werden konnte. Als Stalingrad gefallen war, war der Frontvorsprung nicht mehr zu halten. Am 1. März 1943 begannen die Deutschen, die Ausbuchtung zu räumen. Noch konnten sie sich in eine zurückliegende vorbereitete Stellung mit wesentlicher geringerer Frontbreite zurückziehen. Die Sowjets hatten den Bogen erobert, aber trotz aller Opfer konnten sie die Deutschen hier keine entscheidende Niederlage beibringen. So versank der "Fleischwolf von Rschew" im Vergessen.
Vergifteter Abwehrerfolg
Die ganze Operation lässt sich durchaus als Abwehrerfolg der Deutschen beschreiben. Ein Jahr lang banden sie sehr starke Kräfte des Gegners, die in Folge der missglückten Angriffe vollkommen verschlissen wurden. Am Ende gelang es ihnen sogar, sich ohne größere Verluste abzusetzen und in der neuen Stellung eigene Truppen für die kommende Offensive bei Kursk freizumachen.
Aber das ist kaum die halbe Wahrheit. Die Frontnase war die letzte Position, für eine strategische Offensive auf Moskau. Als sie geräumt wurde, gestand man ein, dass ein Sieg im Osten nicht mehr zu erreichen war.
Stattdessen hofften nicht nur Hitler, sondern auch führende Generäle die Sowjets in einer Folge von Abwehrschlachten zu erschöpfen. Irgendwann, so das Kalkül, würde auch Stalin die enormen Verluste nicht ersetzen können. Doch schnell zeigte sich, dass das zu kurz gedacht war. Die Deutschen hofften im Grunde, dass das russische Oberkommando nichts dazu lernen werde. Die zweite Schlacht von Charkow schien ihnen Recht zu geben. Aber schon bei Kursk zeigte sich, dass die Russen inzwischen Meister der Verteidigung geworden waren. In der Folge bewiesen sie dann, dass sie die alten Fehler in den Offensive auch nicht mehr wiederholten.
Eigene Verluste interessierten den Kreml bis zur Schlacht von Berlin kaum, aber sie schafften es zusehends, den Deutschen immer höhere Verluste beizubringen. Nachdem die Deutschen keine Kraft mehr zu befreienden Offensiven fanden, verwandelte sich die ganze Ostfront in einen Fleischwolf, aber der blutete die Deutschen mehr aus als die Sowjets. Die Rote Armee wurde von Monat zu Monat stärker und die Deutschen schwächer.
Quellen: Stellungskrieg im Rshew-Bogen, Meat Grinder on the Eastern Front – Rzhev
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