Die menschliche Schwangerschaft lässt sich leicht in Zahlen fassen. Sie dauert im Idealfall gut neun Monate, also etwa 280 Tage. Es gibt Zeitpunkte, an denen man heute sehr genau weiß, wann zum Beispiel mit großer Wahrscheinlichkeit der Herzschlag des Fötus zum ersten Mal auf dem Ultraschall zu hören ist. Es gibt Richtwerte dazu, wie viel eine Mutter bis zur Geburt zunimmt. Was man allerdings bislang nicht genau wusste: Wieviel Energie verbraucht der menschliche Körper in der Zeit von Befruchtung bis Geburt. Eine Schwangerschaft erfordert zwei Formen von Energie-Investments. Einmal die Energie, die direkt in den Nachwuchs geht. Und dann die Energie, die die Mutter für das heranwachsende Kind verbraucht. Vor allem der zweite Wert war bislang weitestgehend unerforscht.
In einer neuen Studie haben Evolutionsbiologen der "Monash University" im australischen Clayton dazu überraschende Ergebnisse ermittelt. Laut der nun im Wissenschaftsmagazine "Science" veröffentlichten Untersuchung verbraucht eine Frau für eine Schwangerschaft rund 50.000 Kalorien. Nach einer Berechnung der "New York Times" entspricht das in etwa 50 Bechern der Ben and Jerry`s Cherry Carcia Eiscreme. Und ist vor allem deutlich mehr, als bislang angenommen wurde.
Der hohe Wert hat alle überrascht. Auch, weil bislang davon ausgegangen wurde, dass der größte Teil der Energie im Fötus gespeichert wird. Aber dieser Wert ist mit gerade mal vier Prozent fast zu vernachlässigen. Dustin Marshall, einer der an der Studie beteiligten Forscher, sagt: "Das Baby ist im Grunde nur die Aufrundungszahl, es hat einige Zeit gebraucht, bis wir das verstanden haben."
Eine Schwangerschaft erfordert ein großes Energie-Investment
Wir befinden uns gerade in einer Phase, in der es viele neue Entdeckungen rund um den menschlichen Stoffwechsel gibt. Denn die Untersuchungsmethoden sind in den vergangenen Jahren viel genauer geworden. Gleichzeitig ist aber auch das Interesse an den inneren Abläufen im Körper deutlich gestiegen. Der Evolutionsbiologe Marshall ist einer der führenden Wissenschaftler in diesem Forschungsfeld.
Als Warmblüter steht der Mensch vor allerlei Herausforderungen. Um zum Beispiel die Körpertemperatur stabil zu halten, braucht es eine beständige Zufuhr von Energie in Form von Nahrungsmitteln. Es ist wie ein Ofen, den man am Laufen halten muss. Das gilt natürlich noch mal besonders für eine Schwangerschaft. Denn in diesen Monaten stehen Frauen vor der großen Aufgabe, zusätzlich noch einen heranwachsenden Organismus versorgen zu müssen.
Die nun neu vorliegende Studie liefert dazu zum ersten Mal verlässliche Zahlen. Alle vorherigen basierten lediglich auf Schätzungen - und waren dementsprechend ungenau. Lange galt zum Beispiel unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Faustregel, dass etwa 20 Prozent Energie im Gewebe des Fötus gespeichert werden. Eine Annahmen, die sich jetzt als komplett überhöht erwiesen hat.
Die Körpergröße hat Einfluss auf den Stoffwechsel
Marshall und sein Team berechneten die Stoffwechsel-Werte nicht nur für Menschen, sondern für insgesamt 81 Arten - von Insekten über Schlangen bis zu Ziegen. Mit den größten Einfluss auf die Zahl hat die Körpergröße eines Tieres. Mikroskopisch kleine Lebewesen brauchen für die Vermehrung zum Beispiel lediglich ein millionstel einer Kalorie. Ein Weißwedelhirsch dagegen für ein Kitz mehr als 120.000 Kalorien. Schlangen, die Eier legen und damit den Nachwuchs nicht lange im Körper tragen, haben wiederrum auch einen geringeren Verbrauch.
Vor allem die Erkenntnis, dass beim Menschen etwa 96 Prozent der Energie von der Mutter verbraucht wird, gilt als revolutionär. Warum das so ist, muss noch in weiteren Untersuchungen geklärt werden. Derzeit nimmt man an, dass vor allem Lebewesen mit einer Plazenta mehr leisten müssen. Außerdem sind Menschen im Verhältnis zu allen anderen überdurchschnittlich lange schwanger. Marshall gibt zu Bedenken, dass der hohe Energiebedarf auch ein Grund dafür sein könnte, warum weibliche Säugetiere sich nach der Geburt so intensiv um ihren Nachwuchs bemühen. Sie wollen sicher stellen, dass sich ihr hohes Investment auch lohnt. Er sagt: "Sie hatten schon so viel versteckte Kosten für das Projekt."