Diskussion um Raubtier Von wegen böse: Wölfe retten Menschenleben – wenn wir es zulassen

Symbolfoto Wölfe: Ein Wolf mit Fleisch im Maul
Wölfe sind die wichtigsten natürlichen Feinde von Rehen und anderem Wild
© IMAGO/Sylvio Dittrich
Nach der AfD will nun auch die CDU dem Wolf an den Kragen. Dabei sind die Räuber unsere wichtigsten Verbündeten gegen eine wachsende Gefahr.

Die Wolfspopulation in der EU wachse stetig und ungebremst, gleichzeitig steige die Zahl der europaweit von Wölfen getöteten Nutztiere über die Maßen, schreibt die CDU in ihrer Beschlussvorlage, die heute im Bundestag beraten wurde. Damit stiehlt die Union der AfD eines ihrer Lieblings-Aufreger-Themen der Landbevölkerung. Für den Wolf solle künftig EU-weit nicht mehr der Status "streng geschützte Tierart" gelten, sondern nur noch "geschützte Tierart", fordern Friedrich Merz und seine Fraktion. Klingt unspektakulär, ist es aber nicht. De facto würde es bedeuten, dass künftig Jäger ohne großes Federlesen auf Wölfe anlegen könnten, wo immer sie nerven oder es vermeintlich zu viele von ihnen gibt.    

Dabei hätten die aktuell knapp 436.000 registrierten Jägerinnen und Jäger wirklich anderes zu tun. Vielleicht ist es Ihnen auch schon aufgefallen: Fährt man heute mit dem Auto auf einer Landstraße, stehen links und rechts Dutzende Rehe auf den Feldern und äsen munter vor sich hin. Am helllichten Tag! Offenbar ist es dem einst scheuen Wild heutzutage egal, ob es gesehen wird oder nicht. Viel zu fürchten haben Rehe anscheinend nicht. 

Warum ich Ihnen das erzähle? Wenn schon der Mensch seine Rolle als Top-Prädator in Wald und Feld nicht ausfüllen möchte, dann sollte er doch wenigstens dem wichtigsten natürlichen Feind des Rehs freie Hand, beziehungsweise Maul lassen. Doch kaum berichtet ein Spaziergänger in Brandenburg, dass sich ein Wolf auf seinen Dackel gestürzt habe, erheben die Empörten im Land ihre verbale Flinte und legen auf Isegrim (so heißt der Wolf im Märchen) an. 

Wölfe fressen hauptsächlich Rehe – keine Schafe

Und ja, es gibt Wölfe, die Schafe, Rinder und Pferde schwer verletzen oder töten, und ich verstehe das Entsetzen und die Wut der Schäfer und privaten Halter, die auf diese Weise Tiere verlieren. Aber: Die Nahrung von Wölfen besteht nun mal zu über 90 Prozent aus Rehen, Hirschen und Wildschweinen und nicht aus Nutztieren, das belegen die Untersuchungen von Kotproben eindeutig.  

Totes Reh neben Straße
265.000 Wildunfälle gab es 2022, die allermeisten wurden durch Rehe verursacht 
© IMAGO/imageBROKER/Stephan Schulz

Im vergangenen Jahr meldete der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft 265.000 Wildunfälle. Rein rechnerisch bedeutet das alle zwei Minuten einen Zusammenstoß zwischen Auto und Wildtier, wobei sich die meisten Wildunfälle im Herbst sowie in den Monaten April und Mai ereignen. Dabei entstanden im Jahr 2022 versicherte Schäden in neuer Rekordhöhe von 950 Millionen Euro, 2600 Menschen wurden teils schwer verletzt und sieben starben. Die häufigsten solcher Unfälle verursachen Rehe, allein in der Saison 2022/23 waren es knapp 210.000, wie der Deutsche Jagdverband meldet. Besonders hoch ist die Zahl der oft verhängnisvollen Kollisionen übrigens in Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Dort gibt es, im Gegensatz zu den östlichen Bundesländern, bislang nur vereinzelt Wölfe. Ob das Zufall ist?

Nicht verschwiegen werden soll hier, dass auch Wölfe wirtschaftliche Schäden und menschliches Leid anrichten, allerdings in einer ganz anderen Dimension als ihre bevorzugten Beutetiere. Für 2022 registrierte die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf 1136 Übergriffe auf Nutztiere, meist Schafe, für die deren Besitzer Ausgleichszahlungen in Höhe von 616.000 Euro erhielten. Dazu kamen 18,4 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen zum Schutz von Herden vor hungrigen Wölfen. 

Begegnungen mit dem Menschen sind sehr selten

Menschen haben allerdings – entgegen aller Behauptungen – hierzulande nichts von Wölfen zu fürchten. Denn die Beutegreifer sind im Gegensatz zu Rehen meist sehr scheu, es sei denn sie wurden (wie auf manchen Truppenübungsplätzen) angefüttert. Dass es hin und wieder Begegnungen zwischen Spaziergängern – mit oder ohne Hund – gibt, ist eher zufällig. 

Ließen wir einen natürlichen Bestand an Wölfen im Land zu, könnten sich die Populationen von Rehen (und anderen Wildtieren) wieder auf ein natürliches, niedrigeres Maß einpendeln. Die munteren Rehlein wären vermutlich auch scheuer, wenn sie mehr Jagddruck durch ihre natürlichen Feinde zu befürchten hätten. Und Autofahrer könnten womöglich beruhigter übers Land fahren, ohne jede Minute damit rechnen zu müssen, mit einem Wildtier zu kollidieren.    

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