AFGHANISTAN Vizepräsident Kadir ermordet

Der stellvertretende afghanische Präsident Hadschi Abdul Kadir ist vor seinem Ministerium in Kabul erschossen worden. Er hatte beim Sturz der Taliban eine führende Rolle gespielt.

Der afghanische Vizepräsident Hadschi Abdul Kadir ist heute in der Hauptstadt Kabul ermordet worden. Nach offiziellen Angaben trafen drei Dutzend Kugeln den Wagen Kadirs. Er war ein erklärter Gegner der radikalislamischen Taliban gewesen, die er Ende vergangenen Jahres zu entmachten half.

Den Mord an Kadir gab Innenminister Tadsch Mohammad Wardak bekannt. Der Kabuler Polizeipräsident Basir Salangi sagte ergänzend, es habe sich um zwei Täter gehandelt. Die Internationale Schutztruppe für Kabul (ISAF) schaltete sich in die Ermittlungen ein. Kenner der Lage äußerten den Verdacht, dass die Taliban hinter dem Anschlag stecken. Sie töteten vergangenes Jahr Kadirs Bruder Abdul Hak, als er um Verbündete gegen die Islamisten warb.

Kadir war einer der drei Stellvertreter Präsident Hamid Karsais gewesen, dazu Bauminister und Gouverneur von Dschalabad im Osten des Landes. Die Täter eröffneten das Feuer, als Kadirs Auto auf das Gelände seines Amtssitzes einbog. Mit ihm starb sein Fahrer. Zwei Mitfahrer wurden verletzt. Die Kugeln zerschmetterten die Windschutzscheibe und durchlöcherten die Karosserie. Im Wrack und auf dem Boden war Blut zu sehen. Salangi teilte ohne Angabe von Gründen mit, es seien zehn Wächter verhaftet worden, die noch Kadirs Vorgänger im Ministeramt, Abdul Chalik Fasal, angestellt hatte.

Kadir gehörte dem Mehrheitsvolk in Afghanistan an, den Paschtunen. Er war einer der wenigen Paschtunen gewesen, die auf der Seite der Nordallianz gegen die Taliban kämpfte. Die Allianz wird von Tadschiken beherrscht, während die Taliban sich aus Paschtunen rekrutierten. Ein Kenner der Lage sagte, für die Taliban sei Kadir ein Verräter gewesen. »Deshalb könnte es ein Taliban-Anschlag gewesen sein.«

Der Mord an Kadir illustriert die Probleme

Kadirs Bruder Hak war ebenfalls ein Taliban-Gegner gewesen. Nach dem Beginn der Offensive der USA und der Nordallianz Anfang Oktober kam er aus dem Exil heim, um neue Verbündete gegen die Taliban zu finden. Sie hatten 1996 Kabul erobert und bis zu 95 Prozent des Landes beherrscht. Die Nordallianz ging aus der Regierung hervor, die sie verjagt hatten.

Die Taliban gerieten ins Visier der USA, weil sie der Führung und Kampfgruppen der international operierenden Islamisten-Organisation El Kaida um Osama Bin Laden Unterschlupf gewährte, der für die Anschläge des 11. September verantwortlich gemacht wird.

Der Mord an Kadir illustriert die Probleme, die der Paschtune Karsai bei der Befriedung eines Landes hat, in dem 23 Jahre lang Krieg herrschte - erst gegen die sowjetischen Besatzer und deren afghanische Statthalter, dann innerhalb der siegreichen Allianz der Mudschaheddin und schließlich zwischen den Mudschaheddin und den Taliban.

Karsai war der Niederlage der Taliban für zunächst sechs Monate ins Amt gekommen und im Juni von der Loja Dschirga, der Versammlung der Völkerschaften Afghanistans, für weitere 18 Monate bestätigt worden. Am Ende sollen allgemeine Wahlen stehen. Anfang des Jahres wurde Karsais Tourismusminister Abdul Rahman unter immer noch ungeklärten Umständen auf dem Kabuler Flughafen umgebracht.