AMOKSCHÜTZE »Jetzt wird es sehr, sehr persönlich«

Seit Tagen versetzt ein Heckenschützen die Umgebung von Washington in Angst und Schrecken. Während eine ganze Region gelähmt ist, suchen FBI und Polizei nach dem Täter.

Der Junge war gerade von seiner Tante zur Schule gebracht worden, als ein Schuss fiel und er zusammenbrach. Der 13-Jährige wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht; noch am Dienstag war unklar, ob er überleben würde. Tags zuvor war er das achte Opfer eines Heckenschützen geworden, der die Umgebung von Washington in Angst und Schrecken versetzt. Fünf Opfer der rätselhaften Mordserie wurden an zwei Tagen im Umkreis von nur acht Kilometern erschossen - immer mit einem einzelnen Schuss und auf offener Straße.

Fahndung ohne Erfolg

Der 13-Jährige lag am Dienstag mit schweren Verletzungen an Lunge, Milz und Bauchspeicheldrüse im Kinderkrankenhaus von Washington, ein Teil seines Zwerchfells musste in einer Notoperation entfernt werden. Die Kugel, die ihn traf, stammt nach Erkenntnis der Ermittler aus der selben Waffe, mit der der Schütze auf mehrere seiner anderen Opfer zielte. Die Polizei fahndete die gesamte Nacht nach dem Täter - allerdings ohne Erfolg.

»Jetzt wird es sehr, sehr persönlich«

»Alle Opfer sind unschuldig und wehrlos gewesen, aber jetzt wird eine weitere Grenze überschritten«, sagte der Polizeichef des Bezirks Montgomery im US-Staat Maryland, Charles Moose, unter Tränen. »Auf ein Kind zu schießen - jetzt wird es sehr, sehr persönlich.« Sein Kollege Gerald Wilson aus dem Bezirk Prince George's, wo das jüngste Opfer angeschossen wurde, sagte: »Wir werden alle kämpfen müssen.« US-Präsident George W. Bush verurteilte die Angriffe als »feige und sinnlose Gewalttaten« und sagte den lokalen Behörden und Schulen die Unterstützung der Regierung zu.

Die ersten sechs Morde ereigneten sich am Mittwoch und Donnerstag in Montgomery und Silver Spring, einem Vorort von Washington in Maryland. Eine weitere Frau wurde am Freitag im US-Staat Virginia durch einen Schuss schwer verletzt. Alle Opfer wurden an öffentlichen Plätzen niedergestreckt: der Junge vor der Schule, ein 55-jähriger Mann auf dem Parkplatz eines Supermarktes, ein 39-Jähriger beim Rasenmähen, ein 54 Jahre alter Taxifahrer an einer Tankstelle, eine 34-Jährige vor einem Postamt, eine 25-Jährige beim Autowaschen, ein 72 Jahre alter Mann an einer Straßenecke und eine 43-jährige Frau auf dem Parkplatz eines Baumarktes.

150.000 Dollar Belohnung

Am Dienstag mussten die Schüler in den betroffenen Bezirken ihre Pausen im Schulgebäude verbringen, und die Behörden riefen die Eltern auf, ihre Kinder nicht alleine zur Schule gehen zu lassen. »Da schickt man seine Kinder in die Schule und denkt, dort wären sie in Sicherheit«, klagte die Mutter Sonja Moore, die ihren sechs Jahre alten Sohn Aaqil von der Grundschule in Seabrooke abholte. Auch Dana Bruckner will ihre beiden Kinder nicht mehr Bus fahren lassen. »Ich fühle mich sicherer, wenn ich sie bei mir habe«, sagte sie. »Ich mache mir Sorgen.«

»Ich hatte Angst«

Sharon Healy hatte ihren zwölf Jahre alten Sohn Brandon am Montagmorgen gerade mit seinem Fahrrad zur Schule geschickt, als sie von den Schüssen auf dessen Mitschüler hörte. Sie raste zur Schule und stürmte das Klassenzimmer, um sich zu vergewissern, dass Brandon nichts passiert war. »Da fühlt man sich sicher, aber es kann jederzeit ein Unglück passieren«, sagte Healy. Brandon fügt hinzu:»Ich hatte Angst.«

Die Ermittler arbeiteten unterdessen fieberhaft an dem Fall. Die Bundespolizei FBI erstellte ein psychologisches Täterprofil. Von einer geographischen Analyse der Tatorte erhoffte sich die Polizei Erkenntnisse über den möglichen Wohnort des Mörders. Für Hinweise zur Aufklärung der Mordserie wurde eine Belohnung von 150.000 Dollar (153.000 Euro) ausgesetzt. »Jeder muss mithelfen, um diesen Mörder zur Rechenschaft zu ziehen«, sagte ein Sprecher der Bezirksverwaltung von Montgomery, Doug Duncan. »Unsere Gemeinde lebt im Angstzustand.«