Bagdad Düstere Kutte statt schöner Kleider

Vorbei sind die Zeiten, als Bagdad Touristen anzog, die das Ufer des Tigris entlang flanierten. Die Gegenwart ist schmutzig und grau - kaum ein Kino hat aus Angst vor Anschlägen noch geöffnet. Und die Jugend träumt vom Auswandern.

Wenn die Sonne über Bagdad untergeht, bricht die Zeit der Langeweile an. Die Menschen sind froh, wenn sie einen weiteren Tag überstanden haben, ohne dass ein Familienmitglied getötet oder entführt wurde. Doch an den langen Abenden fällt ihnen zu Hause manchmal die Decke auf den Kopf. Denn aus Sicherheitsgründen geht im Winter nach 17 Uhr kaum noch jemand vor die Tür. Nachts herrscht ohnehin Ausgangssperre. "Nach Sonnenuntergang kommen die Langeweile und das Elend", klagt der Student Mustafa Hussein, der sich früher abends oft mit Freunden zum Billardspielen oder im Teehaus verabredet hatte. Wie viele seiner Altersgenossen so hat auch der 25-jährige nur noch einen Traum: auswandern.

Freiwillige Wächter für die Nachbarschafts-Bürgerwehr

Viele junge Männer verbringen ihre Abende jetzt als freiwillige Wächter für die Nachbarschafts-Bürgerwehr ihres Viertels auf der Straße. Mit Schusswaffen stehen sie an den Zufahrtsstraßen, die sie nachts mit Baumstämmen und Schrott blockieren. Untereinander verständigen sie sich mit Mobiltelefonen. Wenn ein Fremder gesichtet wird, warnen sie mit Trillerpfeifen. Trotzdem wagt sich auch innerhalb des Viertels meist niemand mehr abends auf die Straße, etwa um Nachbarn zu besuchen.

Stattdessen sitzt die ganze Familie vor dem Fernseher und schaut Satellitenfernsehen. Den Fernseher betreibt meist ein Generator, den sich mehrere Nachbarn teilen. Denn Strom gibt es nur etwa sechs Stunden pro Tag.

Die Kinos der irakischen Hauptstadt, in denen früher besonders viele Action-Filme gezeigt wurden, sind inzwischen alle geschlossen. Vor den Theatern türmen sich Müllberge. Nur im Nationaltheater gibt es tagsüber gelegentlich noch Vorstellungen, die aber nicht gut besucht sind, da Menschenansammlungen immer ein Anschlagrisiko sind. Die Restaurants im Villenvorort Mansur sind abends alle geschlossen, und auch die Ausflugslokale und Fischlokale am Tigris-Ufer, gegenüber der von der Regierung und den Amerikanern abgesperrten "Grünen Zone", liegen einsam und verlassen da.

Schönes Kleid gegen düstere Kutte getauscht

"Bagdad war früher abends so lebendig, heute ist es einfach nur noch Furcht erregend", seufzt der Frührentner Walid Chalid (59). Wehmütig erinnert er sich an die Zeit vor dem Krieg: "Arabische und ausländische Besucher gingen abends spazieren. Doch diese Zeiten kommen so schnell nicht wieder zurück." Auch der Ladenbesitzer Basil Mahdi (64) träumt gelegentlich noch von der "guten alten Zeit". Aus Angst vor Verbrecherbanden und Extremisten schließt auch er sein Geschäft bei Sonnenuntergang. Für ihn ist Bagdad wie eine Frau, "die ihr schönes Kleid gegen eine düstere Kutte eingetauscht hat".

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Kadhem al-Atabi/DPA