Gesundheitsreform Obama und der große Trick

In den USA steht die entscheidende Schlacht um die Gesundheitsreform an: Um das umstrittene Projekt durchzuboxen, will Barack Obama zur Not tricksen. Die Opposition schäumt - zu Unrecht.

Barack Obama ist nicht der erste US-Präsident, für den der Zweck die Mittel heiligt. Zwar das Blutvergießen des Bürgerkriegs nicht mit dem Ringen um die Gesundheitsreform zu vergleichen, aber auch Abraham Lincoln schaffte während der Zeit die Sklaverei ab, indem er in den eroberten Südstaaten die Schwarzen per Dekret befreite - sein Status als Oberster Feldherr befugte ihn dazu. Damit hatte er Fakten geschaffen, die erst später von den Parlamenten der einzelnen Staaten abgesegnet wurden. Nun befindet sich auch Obama in einer Art Bürgerkrieg: Die alles entscheidende Schlacht mit der Opposition um die Gesundheitsreform steht bevor. Und wie Lincoln ist der derzeitige US-Präsident ebenfalls aufs Äußerste entschlossen, seine Überzeugung durchzusetzen - auch gegen den Willen der Abgeordneten. Und zu dem Preis, seinen Ruf als Erneuerer und Hoffnungsträger endgültig zu ruinieren.

"Ich verbringe nicht viel Zeit damit, mir Sorgen über Verfahrensregeln im Repräsentantenhaus oder Senat zu machen." Es war dieser Satz Obamas, jüngst gefallen in einem TV-Interview, der deutlich machte, wie wenig das Staatsoberhaupt noch gewillt ist, auf demokratische Konventionen Rücksicht zu nehmen. Denn Obamas entscheidendes Problem ist: Für den Plan, allen Amerikanern eine Krankenversicherung zu verschaffen, hat er schlicht keine parlamentarische Mehrheit. Die oppositionellen Republikaner lehnen die Gesundheitsreform grundsätzlich ab - und auch viele Demokraten sind nicht überzeugt. Rund zehn bis 15 Stimmen aus dem eigenen Lager fehlen für die nötige Mehrheit.

Um das wichtigste Vorhaben seiner Präsidentschaft durchzubringen, überlegt Obama nun, einen Verfahrenstrick anzuwenden. Als Grundlage für die Abstimmung am Sonntag dient die bereits vom Senat verabschiedete Vorlage. Um zögerliche Demokraten zu überzeugen, wurde der Reformvorschlag an einigen Stellen geändert, und hier setzt Obama an: Die Abgeordneten stimmen nicht über das Gesetzeswerk als solches ab, sondern über die eingebrachten Änderungen. Ein Ja dazu würde automatisch ein Ja zur Gesamtreform bedeuten, so die Regelung. Damit ermöglicht es Obama seinen Gegnern zwar, zuzustimmen, ohne zuvor die umstrittene Senatsversion unterstützen zu müssen, aber er hebelt das urparlamentarische Prinzip aus, sich dem Mehrheitswillen der Abgeordneten zu beugen.

"Wir werden alles tun, dass dieses Gesetz nie durchkommt

Die Republikaner, ohnehin seit Monaten auf Totalopposition getrimmt, sprechen angesichts dieser Ankündigung von "Machtmissbrauch" und kündigen erbitterten Widerstand an. "Wir werden alles tun, was wir können, um sicherzustellen, dass dieses Gesetz nie und nimmer durchkommt", sagte John Boehner, Chef der Konservativen im Abgeordnetenhaus. Mit anderen Worten: Sollte der Präsident die Reform mit Hilfe des angekündigten Kniffs durchboxen, wird die Opposition stante pede den Obersten Gerichtshof anrufen. Dass das republikanische Geschäume pharisäerhaft wirkt - sie selbst haben in den vergangenen Regierungsjahren dieses "pass and deem" (in etwa: für gut befunden und durchgewunken) mehr als einmal angewendet - interessiert die Rechten nicht.

Die Wogen der Empörung schlagen deshalb so hoch, weil die Gesundheitsreform polarisiert wie kaum ein anderes politisches Vorhaben der letzten Jahre. Und wegen der enormen Auswirkungen und Kosten wird jede Regung jedes Beteiligten präzise und in Echtzeit in den allgegenwärtigen Fernsehstationen, Zeitungen und Blogs analysiert. Der politische Kommentator des Fernsehsenders NBC, Mark Whitaker, glaubt, dass die Bevölkerung nun erstmals genau mitbekomme, "welchen Weg Gesetzesvorhaben in den USA üblicherweise gehen". Diese Praxis scheint viele Menschen zu entzürnen.

Aus dem Wandel ist nicht viel geworden

Für Obama entwickelt sich der seit mehr als einem Jahr verbissen geführte Kampf mehr und mehr zu einem Fiasko. Zum einen hatte er bei seinem Amtsantritt vollmundig den "Change", den Wandel in Washington versprochen. Er wollte Schluss machen mit der Kungelpolitik aus dem Hinterzimmer, in dem gesichtslose Lobbyisten mit gesichtslosen Parlamentariern undurchsichtige Deals schmieden. Doch genau auf diese Weise hatten sich die Reformbefürworter die fehlenden Demokraten-Stimmen für die Senatsabstimmung im vergangenen Dezember zusammengekauft. Ben Nelson, Senator aus Nebraska, signalisierte seine Zustimmung erst, nachdem ihm Washington Unterstützung in dreistelliger Millionenhöhe zusagte. Die "Huffington Post", einer der führenden US-Politikblogs, nennt diese Übereinkunft das "Symbol für Hinterzimmer-Deals". Das Obama nun auf den Boden des alltäglichen Polit-Geschacheres gelandet ist, schmerzt vor allem jene, die mit dem Präsidenten die Hoffnung auf einen neuen Wind in der Hauptstadt verbunden haben.

Dazu gehören unter anderen auch die linken Demokraten, die im vergangenen Jahr mit ansehen mussten, wie die Gesundheitsreform Stück für Stück durch Kompromisse hier und Zugeständnisse da zu einem halbgaren Reförmchen demontiert wurde. So verzichtete Obama zum Beispiel darauf, den privaten Krankenkassen eine staatliche Alternative entgegenzustellen, einer der vielen Gründe, warum das Werk in Verruf geraten ist. Obwohl die aktuelle Version des Mammutprojekts längst nicht mehr dem entspricht, was der Präsident ursprünglich geplant hatte, steht Obama felsenfest und trotzig dahinter und macht von der Reform sein politisches Schicksal abhängig.

Die Ironie dabei: Barack Obama zeigt nun genau die Härte, die ihm lange Zeit abgesprochen wurde. Seinem Ziel ordnet er alles unter - selbst wenn das bedeutet, den einen oder anderen Trick anzuwenden. Denn sollte seine Reform scheitern, wird ihm das als Schwäche ausgelegt - und Amerikaner mögen keine schwachen Präsidenten.