Irak Im Visier des Scharfschützen

Neben all den Bomben am Straßenrand und Selbstmordattentätern sehen sich US-Soldaten im Irak einer neuen Gefahr ausgesetzt: Aufständische töten aus dem Hinterhalt mit einem Präzisionsschuss eine wachsende Zahl von GIs. Ein Fotograf hat einen dieser Anschläge dokumentiert.

Die Kugel durchschlug den Körper von Juan Valdez-Castillo, als er mit seinem Spähtrupp durch eine matschige Gasse vorrückte. Es war ein einziger Schuss. Der Obergefreite fiel gegen eine Wand, versuchte sich aufzurichten. Und stürzte wieder.

Jessie Leach, Anführer der Einheit, riss sein Gewehr mit Granatwerfer nach oben und trat zwischen den Heckenschützen und den Getroffenen. Er schnappte ihn an einem Gurt und zog ihn über die schlammige Straße zu Büschen aus Schilfgras, wo sich der Trupp verschanzte. Leach senkte seine Waffe, schnitt die Uniform des Obergefreiten auf. Zum Vorschein kam eine klaffende Wunde.

Während die Männer auf Hilfe warteten, starrten sie entlang ihrer Gewehrläufe auf Dutzende von Fenstern. Und versuchten einen unsichtbaren Gegner zu entdecken. Juan Valdez-Castillo, getroffen im rechten Arm und Brustkorb, hatte Glück: Er überlebte den Anschlag.

Der Angriff Ende Oktober in der Provinz Anbar zeigt eine neue Gefahr des Krieges im Irak. Immer häufiger setzen die Aufständischen dort Heckenschützen ein. Der Bataillonskommandeur der Einheit erinnerte sich später an acht Treffer in den vergangenen drei Monaten. Zwei der fünf Todesopfer des Bataillons gehen auf das Konto solcher Scharfschützen, ein Marine liegt noch im Koma.

Die Schützen haben eine enorme Treffsicherheit. Sie benutzen oft Varianten des langläufigen Dragunov-Gewehrs, mit stärkerer Munition als bei den üblichen Kalaschnikows. Längst haben die Aufständischen Trainingscamps für ihre besten Schützen eingerichtet und ihre Ausbildung vereinheitlicht. "Wir haben von einigen unserer Informanten gehört, dass sie mit Lautsprechern durch die Viertel fahren: ,Wenn du ein Scharfschütze werden willst, zahlen wir dir das Dreifache deines jetzigen Gehaltes"", sagt Hauptmann Glen Taylor.

Meistens zielen die Scharfschützen auf den Kopf, den Nacken oder auf die Achselhöhlen und zeigen damit, wie genau sie die Schwachstellen in der Schutzkleidung der Amerikaner kennen. Sie schießen normalerweise nur einmal und verschwinden. Und sie eröffnen das Feuer oft aus einer Gruppe von Zivilisten heraus, sagen die Marines, weil sie wissen, dass die US-Soldaten den Befehl haben, nicht zu schießen, wenn sie kein eindeutiges Ziel ausmachen können.

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