Wenn ein Araber derzeit in Tel Aviv ein Restaurant betreten möchte, muss er mit dem Schlimmsten rechnen, meint Türsteher Oleg. »Wenn er Glück hat, wird er nur durchsucht. Wenn er Pech hat, wird er erschossen«, sagt er. »Viele Zwischenfälle in den vergangenen Wochen haben gezeigt, dass ein Blutbad verhindert werden kann, wenn man den Attentäter schnell tötet oder überwältigt«.
Die Tollkühnen sitzen im Café
Oleg gehört zur den vielen russisch-stämmigen Juden, die als private Wachmänner in Israel vor Restaurants, Cafés, Kinos oder Einkaufszentren Stellung bezogen haben und jeden Gast von Kopf bis Fuß mustern. Restaurants und Cafés schlagen dafür auf jedes Getränk einen Schekel (0,25 Euro) Sicherheitszulage auf. Insbesondere in den Szene-Restaurants herrscht Nervosität, seit diese zu bevorzugten Zielen von palästinensischen Selbstmordattentätern geworden sind.
»Die Helden des heutigen Israel sind der Mann und die Frau, die morgens aus dem Haus gehen und abends wohlbehalten in ihre Wohnung zurückkehren. Männlichkeit beweist man jetzt, indem man abends zum Essen geht, und die Tollkühnen sitzen im Café und fordern das Schicksal heraus«, schreibt der israelische Soziologe Natan Sznaider.
Fatale Unachtsamkeit
Einer der blutigsten Anschläge, bei dem ein Selbstmordbomber im Moment-Café in Jerusalem zehn Israelis mit in den Tod gerissen und 52 weitere verletzt hatte, hätte möglicherweise verhindert werden können. Gäste werfen dem Wachmann vor, er sei in ein Gespräch mit Bekannten verwickelt gewesen.
Fronten verhärten sich weiter
Das Moment-Café ist eine Insel säkularer, liberaler und linker Juden inmitten des vorwiegend orthodoxen West-Jerusalems. Die israelische Linke ist den Palästinensern bislang am weitesten entgegengekommen. Nach der blutigen Anschlagsserie ist jedoch bei vielen ein Sinneswandel eingetreten.
Anschlag als Eigentor
»Der Anschlag auf das Café war ein Eigentor für die Palästinenser; genau wie der Anschlag auf eine Familienfeier in Netanja. Wenn sie Soldaten oder Siedler angegriffen hätten, wäre das auch nicht schön gewesen, aber so lautet die Botschaft: Wir wollen euch alle loswerden, wir werden euch alle töten. Es wächst das Gefühl der Existenzangst und der Bedrohung und die Bereitschaft, dagegen vorzugehen«, sagt der aus dem linken Lager stammende Avi.
Mitgefühl schwindet
Es sind die schrecklichen Bilder von abgerissenen Körperteilen, blutüberströmten Menschen und weinenden Kindern, die bei vielen Israelis das Mitgefühl mit den Palästinensern bei der jüngsten Militäroffensive abgeschwächt haben. »Es war ein ruhiger Tag«, ist eine gängige Äußerung, wenn »nur« Palästinenser und keine Juden ums Leben gekommen sind. Nahezu jeder zweite Israeli würde Umfragen zufolge die Palästinenser am liebsten »weghexen« und woanders ansiedeln, wenn dies nur ginge.
Der »alte Terrorist«
Abgesehen von den ganz linken Gruppen traut in Israel kaum noch jemand Palästinenserführer Jassir Arafat über den Weg. »Er ist der alte Terrorist geblieben«, ist bei vielen eine Grundüberzeugung. Aber auch der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon hat nach Ansicht von Beobachtern bei den meisten Israelis »jeglichen Kredit verspielt«. Nach Umfragen halten ihn nur noch 35 Prozent für vertrauenswürdig.
Letzter Ausweg: Emigration
Kommentatoren in Israel schreiben, dass in immer mehr israelischen Familien angesichts des Blutvergießens über Auswanderung gesprochen wird. »Die Frage ist, ob das meinen Kindern zuzumuten ist. Andererseits wollen wir uns auch nicht durch Terror aus unserem Land vertreiben lassen«, sagt David.