Nach Ansicht von Islamwissenschaftlern besteht in der aktuellen Irak-Krise die Gefahr, dass der Islam erneut zum Feindbild aufgebaut wird. "Die Öffentlichkeit ist sicher sensibler geworden. Aber die alten Klischees über den Islam sind reaktivierbar, wenn der Westen sich bedroht fühlt", sagte der Berliner Orientalist Navid Kermani. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte er gemeinsam mit 48 Wissenschaftlern von 17 Universitäten die Berichterstattung in den Medien kritisiert. Auch während des ersten Golfkrieges 1991 gab es nach seiner Beobachtung ähnliche Tendenzen.
Medien liefern "einfache Antworten"
Wenn im Nahen Osten Reizworte wie "heiliger Krieg" verwendet werden oder anti-westliche Demonstrationen zu sehen sind, entstünden hierzulande wie schon in der Vergangenheit schnell Aggressionen, sagte Kermani. Viele Medien lieferten dann "einfache Antworten". Anders als 1991 und 2001 werde in der gegenwärtigen Diskussion allerdings extrem politisch argumentiert. "Als Bedrohung gilt ein Krieg und noch nicht der Islam", beobachtet der Wissenschaftler.
Diese Ansicht teilt auch Prof. Reinhard Schulze vom Orientalischen Seminar der Universität in Bern. "Die Debatte in den Medien ist so stark politisiert, dass der Islam derzeit noch kaum eine Rolle spielt." Das werde dem Konflikt seiner Ansicht nach auch am ehesten gerecht. Es bestehe allerdings die Gefahr, dass die Verantwortlichen in der Krisenregion irgendwann "die islamische Karte" spielten, erläutert Schulze. Auch dann sollte versucht werden, diese "kulturelle Dimension aus der Diskussion herauszuhalten".
Das Bemühen, "ausgewogener und differenzierter" über den Konflikt zu berichten, erkennt Prof. Gernot Rotter von der Universität Hamburg auf westlicher und auch auf arabischer Seite. Rotter ist Mitglied eines deutsch-arabischen-Mediendialoges, der vom Auswärtigen Amt unterstützt wird und nach dem ersten Golfkrieg ins Leben gerufen wurde. "Auch in der internationalen Presse beobachte ich nicht diesen demagogischen Hetzton." Gerade die arabischen Medien versuchten, nicht nur die bekannten Vorwürfe zu zitieren, sondern "beide Seiten zu Wort kommen zu lassen". Nach wie vor sähen arabische Journalisten bei hiesigen Medien aber "den moralischen Zeigefinger, mangelnde Selbstkritik und vor allem Doppelmoral, was Saudi-Arabien oder Nordkorea betrifft".