Last Call Frischluft nach der Nacht der langen Messer

Zu den wenig schönen Aufgaben eines Staatenlenkers gehört auch: Kündigungen aussprechen.

Premierminister David Cameron hat sein Kabinett neu geordnet. Das war allgemein erwartet worden, denn das hat Tradition in Großbritannien. Vor Wahlen wird noch mal durchgemischt. Eine Massenkündigung wurde allerdings nicht erwartet. Sie erinnerte die Kommentatoren an Harold Macmillan, der fast auf den Tag genau vor 52 Jahre ein Drittel seines Kabinetts an die frische Luft setzte. Der 13. Juli 1962 war ein Tag für die Geschichtsbücher. Der 14. Juli 2014 wird vermutlich kein Tag für die Geschichtsbücher. Camerons Rundumschlag folgte purem politischen Impetus: Frauen und Europaskeptiker ins Boot holen.

Man muss wissen, dass in den Meinungsumfragen die Konservativen konsequent, wenn auch knapp hinter Labour liegen. Deren Spitzenmann heißt Ed Milliband und ist kein besonders charismatischer Mensch. Er steht zwar der Arbeiterpartei vor, sieht aber aus wie ein Banker aus der City und wirkt oft seltsam weit entfernt von seiner Wählerschaft. Es ist wohl eher so, dass Labour trotz Milliband zehn Monate vor den Wahlen immer noch vorn ist.

Das ist recht bedenklich für Camerons Konservative, die sich unentwegt loben für Wirtschaftswachstum und Prosperität und den einsamen Widerstand des Premiers gegen den ihrer Meinung nach finsteren Über-Europäer Jean-Claude Juncker. Cameron verlor zwar knapp mit 2:26, aber in Großbritannien wurde er als aufrechter Patriot gefeiert. Aufrechte Kämpfer, die knapp verlieren, mögen Briten nicht nur auf dem Fußballplatz.

Nun also ein weiterer Befreiungsschlag. „Cull of middle-aged white men“, nannte der konservative „Daily Telegraph“ Camerons Personal-Rochade, der Abschuss der weißen Männer mittleren Alters. Einer nach dem anderen wurde ins Büro des Premiers zitiert. Man sah die Herren mit einem gequälten Lächeln hinein- und mit veränderter Gesichtsfarbe wieder heraustreten – Außenminister William Hague, Bildungsminister Michael Gove, Umweltminister Owen Paterson, die politischen Schwergewichte Dominic Grieve und Damian Green. Lediglich Kenneth Clarke, 74, Tory-Urviech, glasklarer Pro-Europäer und damit per se verdächtig, hatte seine Demission bereits zuvor eingereicht. Und angekündigt, er werde weiter für Europa kämpfen und ergo weiter nerven. Clarke ist ein weiser, großer Mann.

Jedenfalls: alle out.

Und drin mit Philip Hammond – zuvor Verteidigung – ein neuer Außenminister, der eine gepflegte Skepsis gegenüber dem Kontinent wie eine Monstranz vor sich her trägt und damit schon satisfaktionsfähig ist. Er würde, teilte er neulich eher ungefragt mit, für einen EU-Austritt votieren – falls sich Europa nicht bewegt. Applaus vom rechen Rand dafür. Und Applaus vom Chef Cameron und eine Beförderung. Neue Männer braucht das Land. Vor allem und ganz dringend aber: neue Frauen. Befördert also, Nicky Morgan (Bildung), Liz Tuss (Umwelt) und Esther McVey, die als Staatsministerin für Arbeit an den Kabinettstisch rückt. Aber nur einmal die Woche, dienstags.Teilzeit gewissermaßen oder nicht mal. Revolution geht gewiss anders.

Jedenfalls: alle in.

Das neue Kabinett ist weiblicher, jünger und europafeindlicher. In Großbritannien wird der Umbau schon als „Nacht der langen Messer“ bezeichnet, in Erinnerung an Macmillan. Das ist vielleicht ein bisschen oder sogar sehr übertrieben. Cameron brauchte Frischluft, und also öffnete er Fenster und Türen. Seine neue Tafelrunde wirkt künftig eine Terz unverbrauchter, bereinigt von einigen Grauköpfen, dem wunderbar sperrigen alten Europafreund Clarke und einem notorischen Schlaumeier und Streber – Michael Gove. Bekannt für allerlei Alleingänge und permanenten Stress mit der Innenministerin Theresa May. Gove ist ein erklärter Freund der „free schools“, unabhängigen Bildungseinrichtungen, und predigt seit Monaten, dass an britischen Schulen bitte auch britische Werte vermittelt werden sollen, weil die seiner Meinung nach irgendwie verlustig gingen. Zu diesem etwas eigenen Kanon gehörte offensichtlich auch das Entschlacken des Schul-Curriculums um einige Klassiker der Welt-Literatur. Gove machte sich damit keine Freunde in Schriftsteller- und Autorenkreisen und vor allem nicht bei Lehrern. Und wurde nun zu deren Freude selbst entschlackt. Er war, so heißt es, „toxisch“ geworden für seine Partei.

Gove darf sich künftig als Berater und Einpeitscher hinter den Kulissen betätigen, was zuvor er nebenberuflich auch schon tat. Offiziell wird seine Degradierung natürlich als Beförderung verkauft. Das ist ja immer so und nicht nur in Großbritannien. Gove ist jetzt eine Art Chefchen und wird in dieser Funktion künftig noch häufiger im Fernsehen auftauchen und auf die Linken schimpfen. Das kann er ziemlich überzeugend.

Vermutlich wird auch der neue Außenminister Hammond künftig etwas häufiger im Fernsehen auftauchen als sein Vorgänger. William Hague war ein ziemlich braver und verlässlicher Außenminister. Fast genügsam. Die Festland-Europäer mochten ihn dafür, wohingegen viele Briten sich zuletzt fragten, was er denn so mache, rein beruflich. Hague freute sich vor Kurzem sehr darüber, an der Seite von Angelina Jolie eine Konferenz über Kriegsverbrechen an Frauen zu eröffnen. Auf diese Weise schaffte er es auch mal auf die Titelseiten der Zeitungen, nicht groß und stets im Schatten von Frau Jolie. Aber immerhin, er wirkte glücklich, und das ist doch auch was. Es war sein letzter größerer Auftritt vor dem „Cull of middle-aged men“. Cull ist im Übrigen ein großartiges Wort für das, was sich im Königreich ereignete. Es hat so herrlich viele Bedeutungen. Auswahl oder Ausschuss oder auch Abschluss und Schlachten und, und und. Man kann es drehen und wenden und damit spielen und auf jeden der Geschassten irgendwie passend anwenden.

Cull.

Fast überall stand Cull. Komischerweise stand nirgendwo etwas von einem Neuanfang.