Vor ein paar Tagen bekamen wir Post von der europafeindlichen Partei UKIP. Die vier Buchstaben stehen für United Kingdom Independence Party. Dem Wurfboten muss entgangen sein, dass wir Zugereiste sind und damit eigentlich genau die Klientel, die UKIP gerne los werden will. Weil ich in der verqueren UKIP-Logik zum Beispiel britischen Lastwagenfahrern den Job wegnehmen könnte. Nichts läge mir ferner; ich besitze ja nicht mal einen Lkw-Führerschein. Schlimmer wäre allerdings noch, wenn ich keinen bulgarischen oder rumänischen Lkw-Führerschein besäße.
Viele Deutsche haben von UKIP womöglich noch nichts gehört, aber das wird sich in dieser Woche gewiss ändern, denn sie werden bei den Europawahlen gewaltig abräumen und auf knapp mehr oder weniger 30 Prozent kommen. Das sind eine ganze Menge Prozente für eine Partei, die nicht mal ein richtiges Programm hat außer Fremdenangst. Die Partei besteht außerdem und streng genommen auch nur aus einer Person, dem durchaus charismatischen Nigel Farage, 50, einem Menschenfänger, der seit Monaten durchs Land zieht und vorzugsweise in Pubs und Turnhallen Stimmen fischt.
Mr Farage, ein ehemaliger Geschäftsmann, wettert dann gegen das Establishment in Westminister, gegen Europa, gegen osteuropäische Immigranten vornehmlich aus Bulgarien und Rumänien und verspricht den Briten, ihnen Großbritannien zurückzugeben. Wobei uns immer noch nicht ganz klar ist, von wem es die Briten zurückbekommen sollten, weil es sich unserer Wahrnehmung nach immer noch im britischen Besitz befindet. Aber vielleicht sind wir einfach auch nur zu kleinlich und deutsch.
Man muss gerade bei UKIP schon mal fünf gerade sein lassen können. Die Europa-Abgeordneten von UKIP gelten als notorische Faulpelze und schwänzen gerne die Sitzungen auf dem fernen Kontinent. Farage beispielsweise ist zwar seit 1999 Mitglied des Europaparlaments, aber doch eher selten in Brüssel und Straßburg, weil er dafür keine Zeit hat und lieber von der Insel aus über Brüssel und Straßburg schimpft. Und in Pubs und Turnhallen davon erzählt, dass zirka 500 Millionen EU-Bürger nach Großbritannien wollten und 75 Prozent aller Gesetze aus Straßburg und Brüssel kommen, was zwar kompletter Humbug ist, aber vielleicht sind wir auch zu kleinlich und zu deutsch.
Er ist ein guter und kraftvoller Redner, der mit seiner sonoren Stimme eigentlich kein Mikrofon braucht und der das Spiel beherrscht, wie ein Politiker zu erscheinen, der gar kein Politiker ist. Zu diesem Zweck nimmt er gerne vor, während und nach seinen Auftritten größere Mengen Bier zu sich und raucht obendrein wie ein Schlot. Das kommt beim Publikum recht gut an, das offenkundig auch gern trinkt und raucht. Selbst vor Fernsehdebatten wie zuletzt im April vor dem Duell gegen den blassen Liberaldemokraten und Vizekanzler Nick Clegg stärkt sich Farage mit Rotwein und ist dann vor laufender Kamera in bester Laune. Der nüchterne Clegg unterlag zweimal erbarmungswürdig klar.
Inzwischen haben auch die großen Parteien verstanden, dass sie UKIP durchaus ernst nehmen müssen, obwohl die Partei sich alle Mühe gibt, um lächerlich und peinlich zu erscheinen. Ihre Kandidaten sagen schon mal, dass Afrikaner am besten unter sich blieben, um sich umzubringen. Oder bezeichnen den Islam als „satanisch“ und fordern, dass britische Muslime einen Verhaltenskodex unterschreiben und versprechen, nicht im Heiligen Krieg zu kämpfen. Oder behaupten, die winterlichen Fluten seien die Antwort Gottes auf die Schwulen-Ehe. In schönster Regelmäßigkeit sagt irgendwer solchen Stuss, und Farage sagt dann beim Bier, so was stünde nun wirklich nicht im Programm.
Gelegentlich unterlaufen selbst ihm solche Patzer, wie in der vergangenen Woche erst bei einem Radio-Interview in London (dieser Link führt zum Video). Er sagte, dass er keine rumänischen Nachbarn wolle, worauf ihn der Moderator fragte, was denn der Unterschied zwischen rumänischen und, sagen wir, deutschen Nachbarn sei. Und Farage sprach: „Das wissen Sie genau.“ Daraufhin nannte ihn selbst die europafeindliche „Sun“ rassisistisch, und er schaltete eilig eine ganzseitige Entschuldigungs-Anzeige im „Daily Telegraph“. Man muss vielleicht wissen, dass Farage nicht mal deutsche Nachbarn braucht, weil er schon mit der Deutschen Kirsten Mehr verheiratet ist, die für ihn arbeitet und von UKIP, also vom Gatten, ein kleines Salär dafür bekommt, mails und Post zu beantworten. Und zwar offenbar zu ganz fürchterlichen Tages- und Nachtzeiten, die keinem britischen Arbeitnehmer zuzumuten wären, wie er sagt. Frau Farage muss demnach eine Art UKIP-Mindestlohn-Sklave sein.
Verglichen mit anderen politischen Weggefährten kommt Nigel Farage allerdings fast wie ein Segen daher.
In unserer Gegend, im Nordwesten Londons, treten zwei UKIP-Kandidaten bei den lokalen Wahlen an. Einer heißt Magnus Nielsen und plädiert dafür, dass nur ausgesuchte Menschen wählen sollten. Er hält den Islam für ein organisiertes Verbrechen und den Propheten Mohammed für einen „Gang Leader“.
Der andere heißt Heino Vockrodt, ist Deutscher und als solcher natürlich für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Des weiteren ist Herr Vockrodt der Meinung, dass Muslime Kinder zu Sex-Sklaven aufziehen, der Islam keine Religion sei, sondern eine Ideologie und dass ganze Straßenzüge im Stadtteil Brent schon aussähen wie die Provinz Helmand in Afghanistan. Aus eigener Betrachtung kann ich bezeugen, dass die Straßenzüge in Brent nicht wie Helmand in Afghanistan aussehen, sondern doch noch wie London. Seine Ausführungen sorgten für den üblichen UKIP-Wirbel.
Herr Vockrodt, ein Geschäftsmann, hat seine Suadain einem Internet-Blog inzwischen mit dem Hinweis relativiert, er sei kein Muttersprachler und habe nicht den Islam gemeint, Allah bewahre, sondern Islamismus. Außerdem hätten sich seine ironischen Übertreibungen dem britischen Publikum offenkundig nicht recht erschlossen. Nun ja. Aber auch Beiträge in seiner vorgeblichen Muttersprache deutsch taugen nicht zwangsläufig zur politischen Vertrauensbildung. Auf Facebook postet Herr Vockrodt sprachliche, wenngleich orthografisch nicht ganz astreine Kleinode dieser Art: „In Zukunft wünsche ich mir weniger Arschkriescher und Apologeten - und mehr Objektivität und Patriotismus.“ Aber vielleicht sehen wir auch das etwas zu kleinlich und deutsch.
Solche Leute kandidieren jedenfalls für UKIP in unserer Gegend und im ganzen Land. Jeden Tag äußert sich irgendein UKIP-Mensch im Königreich, und nach inoffiziellen Hochrechnungen sind 97,5 Prozent dieser Äußerungen dümmlich, 24,9999 Prozent überflüssig und lediglich 0,0001 Prozent hoffentlich zutreffend. Es handelt sich bei der letzten Prozentangabe im Übrigen um ein Zitat von Nigel Farage. Der erklärte jüngst, dass UKIP sich zügig von allen Idioten trennen wolle.
Falls er dieses Wahlversprechen einlöst, steht die Partei unmittelbar vor der Auflösung.