Anschläge auf Hisbollah Zweite Explosionswelle im Libanon – diesmal sind es Walkie-Talkies

Im Libanon explodieren erneut von der Hisbollah benutzte Kommunikationsgeräte – und töten und verletzen viele Menschen. Hinter der Attacke wird Israel vermutet.
Rauch steigt aus dem Handyshop "Dohni Cell" in Sidon im Libanon
Rauch steigt aus dem Handyshop "Dohni Cell" in Sidon im Libanon: Offenbar ist darin am Mittwoch ein Funkgerät explodiert 
© Mohammad Zaatari / AP / DPA

Bei erneuten Explosionen zahlreicher elektronischer Geräte sind im Libanon nach Behördenangaben mindestens 20 Menschen gestorben und 450 verletzt worden. Wie am Vortag soll es viele Mitglieder der proiranischen Hisbollah getroffen haben, hieß es aus libanesischen Sicherheitskreisen.

Bereits am Dienstag waren an mehreren Orten im Libanon gleichzeitig hunderte Pager explodiert, die Menschen unter anderem in ihren Hosentaschen trugen. Dabei wurden etwa 2800 Personen verletzt und mindestens zwölf Menschen getötet. Die Hisbollah machte Israel für die Anschläge verantwortlich und schwor Vergeltung. Israel selbst äußerte sich dazu nicht. 

Explodiertes Funkgerät auf einem Sofa
Libanon, Baalbek: Das Videostandbild zeigt ein Funkgerät, das in einem Haus explodiert ist
© AP / DPA

Aus dem Umfeld der Hisbollah hieß es, die beiden Explosionswellen seien "der härteste Schlag", den Israel der Organisation jemals versetzt habe. Angesichts der Lage will der UN-Sicherheitsrat am Freitag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Derweil kündigte Israels Verteidigungsminister Joav Galant eine "neue Phase" des Kriegs mit einem Fokus auf den Norden an.

Panik auf einer Beerdigung

Die zweite Explosionswelle durchzog den Libanon am späten Nachmittag. Während in einem südlichen Beiruter Vorort Beerdigungen für Opfer vom Vortag abgehalten wurden, kamen die Meldungen von neuerlichen Explosionen. Aus Hisbollah-Kreisen hieß es, "drahtlose Geräte wie Walkie-Talkies" seien explodiert. 

Videos in sozialen Medien zeigen, wie sich während der Beerdigungszeremonie Panik ausbreitete, nachdem Knallgeräusche zu hören waren. Der ranghohe Hisbollah-Funktionär Hashim Safieddine sagte als Reaktion auf die explodierten Pager vom Vortag: "Diese Aggression hat ihre eigene Strafe und Vergeltung, und die Strafe wird kommen."

Viele Geschäfte in Hisbollah-kontrollierten Gebieten beschädigt

Auch in der Hafenstadt Tyrus im Süden des Landes waren Explosionsgeräusche zu hören. Ein AP-Fotograf in der Küstenstadt Sidon im Süden sah, wie ein Auto und ein Handy-Geschäft beschädigt wurden, nachdem im Inneren Geräte explodiert waren. Der libanesische Zivilschutz sagte, seine Teams seien im Süden und Osten des Landes und in den südlichen Vororten Beiruts im Einsatz, um Brände an Autos, in Geschäften und weiteren Gebäuden zu löschen. Diese Gebiete werden vor allem von der Hisbollah kontrolliert.

Irans Rettungsdienste wollen nach den Explosionen im Libanon 95 Verletzte ausfliegen. Die meisten der Verwundeten, die in iranische Krankenhäuser gebracht werden sollen, hätten Verletzungen an Händen und Augen erlitten, sagte der Leiter der Roten Halbmond-Gesellschaft, Pirhussein Koliwand. Der Iran hatte zuvor Ärzte und Pfleger in den Libanon entsandt.

Die libanesische Regierung erklärte, sie bereite sich auf einen möglichen israelischen Großangriff vor. Der Leiter des Notfall-Ausschusses der Regierung, Nasser Yassin, sagte der libanesischen Nachrichtenagentur NNA: "Wir haben mögliche Szenarien für den Fall ausgedehnter israelischer Angriffe vorgestellt." Das Bildungsministerium habe eine Liste von Notunterkünften vorgelegt. Die Nahrungsmittelreserven reichten im Libanon für mehr als drei Monate. 

Mehr als 2800 Verletzte: Aufnahmen zeigen explodierende Pager im Libanon
Aufnahmen aus einem Supermarkt in Libanons Hauptstadt Beirut dokumentieren die Explosion des Pagers eines Kunden
© Balkis Press / ABACA
Videoaufnahmen zeigen explodierende Pager bei Hisbollah-Mitgliedern

UN-Generalsekretär sieht Hinweise auf "dramatische Eskalation" im Libanon

UN-Generalsekretär António Guterres sieht angesichts der Explosionen Hinweise auf eine massive bevorstehende Eskalation in Nahost. "Die Logik hinter der Explosion all dieser Geräte besteht natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun", sagte Guterres in New York.

Das UN-Menschenrechtsbüro hatte den ersten mutmaßlich von Israel koordinierten Angriff zu diesem Zeitpunkt bereits als "schockierend" verurteilt. Es verstoße gegen internationale Menschenrechtsnormen, einen Angriff gleichzeitig auf Tausende Personen durchzuführen, ohne zu wissen, wer das Gerät zum Zeitpunkt des Angriffs bei sich habe, oder wo die Person sich gerade befinde.

Gegenseitiger Beschuss an der Grenze geht weiter

Seit Ausbruch des Krieges im Gazastreifen mit der palästinensischen Hamas liefern sich israelische Grenztruppen mit der Hisbollah-Miliz im Libanon fast täglich kurze Gefechte. Wegen der Beschießungen mit Granaten und Raketen sowie der Drohnenangriffe haben Tausende Israelis die Grenzregion verlassen und leben in provisorischen Unterkünften. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat erst vor einigen Tagen versprochen, die Voraussetzungen für die Rückkehr der Vertriebenen zu schaffen.

Auch am Mittwoch kam es wieder zu gegenseitigem Beschuss. Israels Armee teilte mit, dass mehr als 30 Geschosse aus dem Libanon Richtung Israel abgefeuert worden seien. Die libanesische Staatsagentur NNA berichtete von mehreren israelischen Angriffen auf Orte im Südlibanon. 

Israels Verteidigungsminister Joav Galant kündigte bereits eine "neue Phase" des Krieges an. Fokus sei die Front im Norden, wo die Armee sich Gefechte mit der Hisbollah liefert, berichteten mehrere Medien unter Berufung auf Galants Büro. Kräfte und Ressourcen sollten in den Norden verlagert werden, zitierten israelische Medien Galant weiter.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert.

DPA · Reuters · AFP
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