Hand auf's Herz, wie oft hupen Sie als braver deutscher Autofahrer? Einmal im Jahr, wenn eine Schlafmütze vor Ihnen auf der falschen Fahrbahn daddelt oder alle zwei Jahre beim TÜV? Wie oft hupt ein Römer? Mindestens einmal die Woche, wenn eine hübsche Signorina die Straße überquert oder wenn sein Lieblingsfußballverein Lazio gegen den Lokalmatadoren AS Roma gewonnen hat. Das Hupkonzert kann dann gut und gerne ein paar Stunden dauern, aber man siegt schließlich nur einmal.
Und wie oft wird in der indischen 18-Millionenstadt Mumbai ins Horn geblasen? 24 Stunden am Tag. Eine immer währende Kakophonie, ein permanenter Angriff auf die Ohren. Selbst in den sogenannten Ruhezonen vor Schulen, Universitäten, Krankenhäusern, Tempeln und Gerichten, wo ein Haufen Schilder "No horn!" eigentlich für ein bisschen andächtige Stille sorgen sollte, macht es den Fahrern offenbar besonders Spaß: Ich hupe, also bin ich! Eine Mischung aus Lebensfreude, Angeberei und tatsächlichem Warnsignal. "Please horn" steht auf bunt bemalten Schildchen an jedem Lastwagen, bitte hupen. Die Aufforderung ist ernst zu nehmen, denn der gute Mann fährt garantiert auf Gehör und benutzt die beidseitig vorgeschriebenen Rückspiegel wenn überhaupt, um seine Frisur zu korrigieren.
Stummfilm im Verkehrstollhaus
Gestern aber, am Weltgesundheitstag, geschah Unerhörtes. Da beging Mumbai seinen ersten "Nicht-Huper-Tag", um für ein paar Stunden wenigstens unsere gestressten Gehörgänge zu schonen. Das Verkehrstollhaus mit 1,6 Millionen Fahrzeugen wurde fast zum Stummfilm. Fast. Nur noch ein ungewohntes gleichmäßiges Rauschen lag über der Stadt, als ob eine Schallplatte gleichförmig in den letzten Rillen kratzt. Dank der glorreichen Idee von R.R. Patil, dem Vize-Ministerpräsidenten waren die manischen Mumbaier ihres Lieblingsspielzeuges am Steuer beraubt. "Die Leute hupen wie blöd an jeder roten Ampel, als ob es davon schneller ginge", war dem Politiker aufgefallen, dessen Aktion auch noch Geld in die Staatskasse spülte: 6295 Krachmacher wurden in Mumbai zu jeweils hundert Rupien, etwa 1.60 Euro, Strafe verdonnert. " Ich kenne ja Valentinstag, aber von einem Nicht-Huper-Tag habe ich noch nie was gehört", staunte Taxifahrer Shyam Gupta, als er, von den in Khaki uniformierten Verkehrspolizisten in flagranti erwischt, die Strafe in bar abdrücken musste.
Ich wurde nicht erwischt - ganz einfach, weil ich in Mumbai nicht Auto fahre. Da würde ich lieber in einen Korb voller giftspeiender Kobras kriechen, als dass ich mich in Indien hinter's Steuer setzte. Abgesehen davon, das es kaum eine hiesige Versicherung gibt, die uns regelgläubige ADAC-Apostel aus dem Ausland als praktizierende Autofahrer registrierte. Israr, mein Lieblingstaxifahrer, wurde auch nicht erwischt. Er hupt nämlich nie, sondern schneidet millimeterscharf und elegant wie ein Chirurg an den Kotflügeln seiner Mitautofahrer vorbei, aber wer kann das schon?
Gestern war ich mit Suresh, einem anderen Taxifahrer unterwegs. Suresh bemühte sich wirklich, still und unauffällig zu fahren. Aber dann kam ihm einer dieser kleinen dreisten Dreirad-Rikschafahrer, die in den Vorstädten wie ein wütender Wespenschwarm hin und hersausen, in die Quere, er kam näher und näher... Normalerweise hätte Suresh nun gehupt, dass die Fetzen fliegen, so aber kratzte der kleine Rikschamann der großen Limousine den Kotflügel an und floh. Wie gestochen sausten nun beide Fahrzeuge trotz roter Ampel los. Suresh hupte und hupte und stellte sich schließlich mit seinem Taxi vor dem Übeltäter quer wie im Actionfilm. Beide stiegen aus. Worauf alle anderen Autofahrer wegen Verkehrsbehinderung in guter alter Gewohnheit auch auf die Hörner drückten. Es wäre garantiert zu einer Schlägerei gekommen, wenn nicht in diesem Moment die Polizei aufgetaucht wäre, um die potenziellen Krachmacher aus der Menge zu filtern und zu bestrafen. Sie kam zu spät, denn sehr einträchtig und kleinlaut waren beide Fahrer, Suresh und der Rikschamann wieder eingestiegen und hatten sich verdrückt.
Promis wie Superstar Shah Ruk Khan würden das Dezibelverbot gerne eine Woche beibehalten. Aber selbst Israr, der Leise-Taxifahrer, meint, das sei doch zu gefährlich für all die Fußgänger, Lastenträger, Marktfrauen, Fahrradfahrer, Esel und nicht zuletzt die heiligen Kühe, die alle nur auf Hupe reagieren, weil sie hinten keine Augen haben. Ab heute darf wieder gehupt werden. Volles Rohr. Ich schätze mal, Suresh und der Rikschafahrer sind glücklicher darüber als ich.