Das Szenario ist fast haargenau dasselbe wie schon zwei Mal zuvor in diesem Jahr: Israelische Truppen marschieren in palästinensische Autonomiegebiete ein, Panzer beziehen an strategischen Punkten Stellung. Die Truppen verhängen das Kriegsrecht und sperren die palästinensische Bevölkerung praktisch in ihre Häuser ein. Auch das Hauptquartier von Präsident Jassir Arafat ist seit Montag wieder umzingelt. Und doch verläuft die Operation »Entschlossener Weg«, wie die Militäraktion euphorisch genannt wird, bislang auffallend ruhig.
Israelis verhängten Ausgehsperre
Nach den beiden palästinensischen Selbstmordattentaten Mitte vergangener Woche, bei denen 26 Israelis getötet wurden, haben die Israelis eine Reihe autonomer palästinensischer Städte im Westjordanland besetzt. Seitdem sind die dortigen Palästinenser ein Volk unter Hausarrest. Die Israelis verhängten über ein Gebiet mit einer Einwohnerzahl von rund 600.000 Menschen eine ganztägige Ausgehsperre. Seitdem dürfen mehr als die Hälfte der Palästinenser im Westjordanland ihre Häuser nicht mehr verlassen.
Kaum bewaffnete Auseinandersetzungen
Trotz dieser Härten fehlen dieses Mal die Aufregung und die Unruhen, die die letzten israelischen Vorstöße begleitet hatten. Auch die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und palästinensischen Partisanen hielten sich auffallend in Grenzen. Einzige Ausnahme war Kalkilja, wo bei einer Schießerei zwei israelische Soldaten starben.
Während bei der letzten Invasion Israels Soldaten gewaltsam in Häuser eindrangen, nach so genannten oder tatsächlichen Terroristen suchten und dutzendweise Männer zum Verhör mitnahmen, standen die Panzer dieses Mal verloren in staubigen und menschenleeren Straßen herum. Nichts tat sich. Ausnahme war hier Dschenin, wo Hunderte von Menschen zum Verhör abgeführt wurden.
Grund ist gewisse Art von Erschöpfung
Ein Grund für die relative Ruhe ist nach Ansicht von Beobachtern im Nahen Osten eine gewisse Art von Erschöpfung. Rund 200 militante Palästinenser sind seit der ersten Invasion getötet und über 1.000 festgenommen worden.
Schuld waren immer die anderen
Nichts geändert hat sich hingegen bei den Begründungen von jeglicher Form der Gewalt. Schuld waren - wie gehabt - immer die anderen. »Wir haben keine Wahl als diese Maßnahmen zu ergreifen, um Selbstmordbomber davon abzuhalten, unsere Frauen und Kinder und manchmal Babys zu töten«, sagte am Sonntag der israelische Regierungssprecher Danni Naveh. Dagegen warf der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erekat Israel vor, »die Zerstörung der palästinensischen Autonomie und Institutionen voranzutreiben«. Am Ende strebe Ministerpräsident Ariel Scharon die Wiederherstellung der völligen Besatzung des Westjordanlands und Gazastreifens und ihre Ersetzung durch eine israelische Verwaltung und Militärregierung an.
Greg Myre