Nordirland "Absurdes Theater" in Belfast

Der Friedensprozess ist tot, es lebe der Friedensprozess. So geht es in Nordirland schon seit Jahren. Auf jeden Rückschlag folgt ein Durchbruch und wieder ein Rückschlag.

Der Friedensprozess ist tot, es lebe der Friedensprozess. So geht es in Nordirland schon seit Jahren. Auf jeden Rückschlag folgt ein Durchbruch und wieder ein Rückschlag. Aber am Dienstag brachten die Konfliktparteien es fertig, dieses Spiel binnen etwa zehn Stunden über die Bühne zu bringen. Was mit Hochstimmung begonnen hatte, endete mit einem Kater. Britische Regierungskreise sprachen am Abend von "absurdem Theater".

Es ging Schlag auf Schlag an diesem Tag - "breaking news" (Top- Nachrichten) ununterbrochen. Vorausgegangen waren wochenlange Geheimverhandlungen zwischen dem britischen Premierminister Tony Blair und dem irischen Ministerpräsidenten Bertie Ahern auf der einen und den Konfliktparteien auf der anderen Seite. Dabei hatte man sich schließlich auf eine Serie von gegenseitigen Zugeständnissen für diesen Dienstag geeinigt.

Den Anfang machte die britische Regierung, indem sie für Ende November Wahlen in Nordirland ansetzte. Damit erfüllte sie eine Forderung der Partei Sinn Fein, des politischen Flügels der Terror- Organisation IRA. Es folgte eine Rede von Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams, in der dieser die Entwaffnung der IRA in Aussicht stellte. Dann kam eine IRA-Erklärung, in der eine Entwaffnungsgeste angekündigt wurde. Am Nachmittag trat schließlich der Vorsitzende der unabhängigen Entwaffnungskommission, John de Chastelain, vor die Presse und bestätigte, die IRA habe mehr Waffen "außer Gebrauch genommen" denn je.

Was dann folgte, war eine verdächtig lange Pause. Die Journalisten in Belfast warteten vergebens auf den Beginn einer angekündigten Pressekonferenz von Blair und Ahern. Der Grund wurde klar, als der gemäßigte Protestantenführer David Trimble ebenfalls verspätet vors Mikrofon trat. Er warf der IRA vor, sich nicht an die Absprachen gehalten zu haben. Ihm sei versichert worden, die Terrororganisation werde in "transparenter" und überprüfbarer Weise einen Teil ihrer Waffen abgeben. Das sei nicht geschehen. Und deshalb werde er jetzt auch nicht wie vereinbart erklären, zu einer neuen Zusammenarbeit mit Sinn Fein bereit zu sein.

In Nordirland geht es ums Detail. Schon wenn sich eine Seite nicht ganz an die getroffenen Absprachen hält, ist das gesamte, genau ausbalancierte Kompromissgebäude vom Einsturz bedroht. Denn niemand kann es sich leisten, großzügig zu sein: Trimble muss fürchten, dann sofort von seiner eigenen Partei entmachtet oder bei den Wahlen von der radikalprotestantischen DUP überholt zu werden. Die IRA muss befürchten, dass ihre Anhänger "Verrat" rufen, was am Dienstag auch prompt schon geschah.

Für Tony Blair, der am Sonntag mit Herzrhythmus-Störungen ins Krankenhaus gekommen war, dürfte sich dieser Tag nicht gerade gesundheitsfördernd ausgewirkt haben. Er war am Vormittag nach Belfast geflogen, um dort, wie er glaubte, einen der größten Triumphe seiner Amtszeit auszukosten. Nach dem dramatischen Einbruch seiner Popularität in den vergangenen Monaten hätte er einen solchen Erfolg gut gebrauchen können. Stattdessen ließen ihn die nordirischen Akteure auflaufen.