Olympischer Fackellauf Ein chinesischer Traum in Argentinien

Von Karen Naundorf, Buenos Aires
So wie in Buenos Aires hatte man sich das in Peking vorgestellt: Ein Fackellauf mit lächelnden Sportlern, sowie einer Auftakt- und Abschlussfeier, ohne Zwischenfälle. Was aber nicht bedeutet, dass die Argentinier mit Chinas Tibet-Politik einverstanden sind.

Wer Freitag Mittag in Buenos Aires auf der Straße 9 de Julio stand, musste sich nur einmal um die eigene Achse drehen, und schon sah er Pro-Chinesische Demonstranten - oder Pro-Tibetische. Beide Gruppen hatten den Obelisk, das Wahrzeichen von Buenos Aires, als Treffpunkt gewählt. Auf der einen Seite des 67 Meter hohen Monuments versammelten sich die Mahner, mit Tibet-Flaggen in der Hand. Auf der anderen Seite standen professionell mit roten Windjacken und Basecaps ausgestattete Chinesen, die eifrig Fahnen schwenkten. Beide Gruppen demonstrierten zunächst friedlich, jede für sich, 20 Meter Luftlinie voneinander entfernt, getrennt durch zwei dicht befahrene Verkehrsspuren und zwei Dutzend Polizisten.

Wer Freitag Mittag in Buenos Aires mit Demonstranten sprechen wollte, hatte jedoch nur auf einer Seite des Obelisken Glück. "Wir sind nicht gegen Olympia", sagt einer der Sprecher der Bewegung "Fackel für die Menschenrechte". "Wir demonstrieren friedlich im Namen der Freiheit." Auf der anderen Seite des Obelisk, bei den "chinos", gab es keine Informationen. Das Gerücht, dass die chinesischen Demonstranten Mundverbot hatten, ging zwar schon vorher. Erstaunlich war aber, dass sie nicht einmal auf einfachste Fragen antworteten: "Lauft ihr von hier aus mit der Fackel mit?" "No sé", "Ich weiß nicht", war die Standardantwort aller Befragten, von denen die meisten Auslands-Chinesen waren, die in Buenos Aires leben. Auch auf die zweite Frage gab es die gleiche Antwort: "Freust Du Dich, dass Olympia in China statt findet?" "No sé", sagten die Chinesen. Um zu testen, ob er überhaupt Spanisch sprach, erlaubte ich mir bei einem der rot Bemützten eine dritte Frage: "Wie viel Uhr ist es?" "No sé", sagte der Chinese einmal mehr - und grinste. Er verstand also Spanisch.

"Lasst euch nicht provozieren"

Kurz vor Beginn des Fackellaufes wurde es unruhig am Obelisk: Ein Dutzend Chinesen eilten auf die Seite der Pro-Tibet-Demonstranten. Sie drängten sich vor die Kameramänner und sangen die chinesische Nationalhymne so laut sie konnten. Handgemenge um den Platz vor den Kameras, es schien, als wollten die Chinesen um jeden Preis verhindern, dass die Pro-Tibeter im Fernsehen gezeigt würden. "Lasst Euch nicht provozieren", rief der Sprecher der Bewegung "Fackel für die Menschenrechte" über Mikrofon. Die Polizei war sofort zur Stelle und trennte die beiden Gruppen.

Überhaupt war das Sicherheitsaufgebot beeindruckend: Mehr als 2700 Polizisten und 3000 freiwillige Helfer waren im Einsatz, um zu garantieren, dass die Fackel ohne Störungen über die 13,8 km lange Strecke getragen werden konnte. Eine große "fiesta", so hatte es sich der Regierende Bürgermeister Mauricio Macri gewünscht, es sei eine große Ehre, dass die Olympische Fackel zum ersten Mal überhaupt durch Buenos Aires getragen würde. Kritische Worte gab es nicht. Ob das damit zusammenhängt, dass Mauricio Macris Vater einer der Vorsitzenden der chinesisch-argentinischen Handelskammer ist, darüber kann man nur spekulieren. Genau wie über das Schweigen im Regierungspalast, der Casa Rosada. Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, die genau wie ihr Vorgänger und Ehemann Néstor Kirchner immer wieder für ihre Menschenrechtspolitik gelobt wird, verhandelte mit Vertretern der Landwirtschaft, während die Fackel durch die Stadt getragen wurde. Bei den Gesprächen ging es um die Exportabgaben für Agrarprodukte. China ist einer der wichtigsten Abnehmer der argentinischen Soja-Bauern.

Der Fackellauf begann im schicken Hafenviertel Puerto Madero, führte an den wichtigsten Plätzen der Stadt vorbei. Weil die Schaulustigen auf die Straßen drängten, kamen die Fackelträger langsamer voran als geplant. Zielpunkt des Laufes war der Club Hípico, gleich neben dem berühmten River Plate-Stadion.

Eine Ironie der Geschichte

Hier tut sich eine pikante Parallele auf: Argentinien war 1978 Austragungsort der Fußball-WM, als das Land von einem Militärregime geführt wurde, unter dem mehr als 30.000 Menschen ermordet wurden. Nur wenige hundert Meter Luftlinie vom River Plate-Stadion entfernt war damals die geheime Folterkammer ESMA, in der die Militärs Andersdenkende festhielten und umbrachten. Die Häftlinge dort hörten das Jubeln im Stadion. "Es ist eine Ironie der Geschichte, dass wir Argentinier nun für die Rechte eines anderen unterdrückten Volkes demonstrieren, für die Tibeter", sagte der Abgeordnete Fernando Iglesias gestern vor dem Fackellauf. "Wir können nur hoffen, dass sich durch Olympia die Augen der Welt auf China richten und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt werden."

Wenn die Argentinier also so viel Verständnis für die Situation Tibets haben, fragt sich: Warum verlief der Fackellauf so ruhig, warum kamen so wenige Demonstranten? Der größte Zwischenfall war ein mit Wasser gefüllter Luftballon, der die Fackel verfehlte. "Wir haben hier mit unseren eigenen Problemen zu tun", sagt der Buchhalter Miguel Monte, der seine Mittagspause auf den Nachmittag verschob, um die Fackel vorbeiziehen zu sehen. "Schauen Sie sich das Land hier doch an: Wir müssen gegen die Armut kämpfen, gegen die Unsicherheit, für unsere Arbeitsplätze, gegen die Inflation, die Korruption, da haben die meisten wohl keine Energie, für ferne Länder wie Tibet zu demonstrieren." Wer es dennoch versuchte, hatte keinen leichten Stand: Vor dem Club Hípico hatte sich eine Handvoll pro-Tibetischer Demonstranten positioniert, doch sie wurden bald von chinesischen Demonstranten und auch von der Polizei abgedrängt. "Sie müsste uns eigentlich beschützen, stattdessen drücken sie uns mit ihren Schutzschildern weg", sagte Demonstrantin Alcira Calabascibetta enttäuscht. "Und die Präsidentin, meine Präsidentin, hätte sich zum Thema Menschenrechte äußern müssen."

Aber Cristina Fernández de Kirchner schwieg und alles blieb ruhig. Die letzte Läuferin, die Tennisspielerin Gabriela Sabatini, konnte die Fackel ungestört ans Ziel bringen und das Olympische Feuer entzünden. "Es war alles gut, ein Fest, die Leute haben mitgemacht", sagte Bürgermeister Macri nach Ende der Veranstaltung. "Wir haben der Welt einen wunderbaren Eindruck unserer Stadt vermittelt und damit sind wir sehr zufrieden."