Er ist widerlich. Grob und selbstherrlich, verliebt in seine Macht als zweithöchster Mann der Nationalgarde. General Reynaldo Pérez Vega stört sich nicht daran, dass die Menschen auf den Straßen ihn nur "El Perro" nennen, den Hund. Foltern, morden, die Angst in den Augen seiner Opfer sehen, daran findet er Gefallen. Und doch hat sie es getan.
Nora Astorga hat am Nachmittag eine Botschaft in seinem Büro hinterlassen. "Sag dem General, dass heute etwas geschehen könnte, an dem er schon lange interessiert ist und nach dem er schon lange gefragt hat." Seit Monaten schon stellt "El Perro" der hochgewachsenen Personalchefin eines Bauunternehmens nach. Verlangt, drängt, fordert. Sie ist eine Rassefrau, 1,80 Meter groß, was sie noch mit hohen Absätzen zu betonen weiß, und er will sie haben.
Ihrer Einladung folgt er sofort.
Kaum ist die Dunkelheit über Managua hereingebrochen, fährt sein Auto vor, er stürmt ins Haus. Ein Drink? Nein, er zerrt sie ins Schlafzimmer, reißt sich den Anzug vom Leib, lässt achtlos sein Holster mit der Waffe fallen. Auf diesen Augenblick hat Nora Astorga gewartet. Sie ruft das Codewort, und aus den Schränken stürmen drei Genossen der Sandinistischen Befreiungsfront.
Am nächsten Morgen
geht bei einem Radiosender ein anonymes Kommuniqué ein: General Pérez sei von Rebellen hingerichtet worden. Als Polizisten die Altamira d´Este Nr. 617 stürmen, finden sie "El Perro" auf dem Bett. Halb nackt, mit Stichwunden im Rücken, auf der Brust und an den Armen, Klebeband über Augen und Mund. Ein Schnitt läuft quer durch seine Kehle. Sein Blut beginnt langsam zu trocknen, aufgesogen von der schwarz-roten Fahne der Sandinisten, die über seinen geschundenen Körper gebreitet ist - ein Leichentuch als Triumphschrei.
Acht Jahre später
betritt Nora Astorga zum ersten Mal die Generalversammlung der Vereinten Nationen als Abgesandte ihres Landes. "Es war beeindruckend, mit welcher Gelassenheit sie den Augen der Delegierten aus 158 Ländern begegnete - Quel auréole!", schwärmt der Franzose de Kemoularia, welch ein Glorienschein. Ein anderer Delegierter: "Sie trägt ihre Vergangenheit wie andere Frauen ihr Parfüm." Nora Astorga lächelt sich ihren Weg durch die hohe Diplomatie. "Die Neugier meiner männlichen Kollegen, mich kennen zu lernen, hat mir die in diesem Job so entscheidend wichtige Kontaktarbeit erleichtert", erklärt sie schlicht.
Viel ist in jenen acht Jahren
seit der Nacht des 8. März 1978 geschehen. Nora Astorga war in den Dschungel geflohen. Als die Sandinisten die Revolution gewannen, konnte sie ihr Versteck verlassen. Sie wird stellvertretende Außenministerin und Sonderanklägerin in den Tribunalen gegen Anhänger von Ex-Präsident Somoza. 7500 Somozisten werden in den Tribunalen abgeurteilt. Doch anders als von vielen Sandinisten erhofft, lässt Nora Astorga jeden laufen, dessen Schuld nicht eindeutig belegt werden kann.
1984 möchte Nicaragua
sie als Botschafterin nach Washington schicken. Dort ist man empört. "Wir wollen diese Mörderin hier nicht haben", lautet der inoffizielle Kommentar eines Beamten. General Pérez war vor seiner Ermordung eine wichtige Kontaktperson für die CIA. So geht Nora Astorga nach New York und vertritt ihr Land bei den Vereinten Nationen.
Am 14. Februar 1988
stirbt sie an Brustkrebs. "Wenn meine Stunde kommt, wüsste ich nicht, was ich bereuen würde - auch das mit dem General nicht", resümiert sie wenige Tage zuvor. "Ich habe viel Selbstdisziplin geübt und vor langer Zeit schon die Angst vor dem Tod verloren. Ich bin frei."