Russland vor der Wahl Wehe dem, der Putin nicht liebt

In Putins Russland reichen Nichtigkeiten, um Regimekritiker mundtot zu machen. So wurde jetzt ein liberaler Politiker festgenommen, weil er bei Gelb über die Ampel ging. Die preisgekrönte Journalistin Olga Kitowa schreibt exklusiv bei stern.de eine Kolumne über Russland vor der Wahl.

Bei uns wurde schon im Vorfeld viel über die "Märsche der Unzufriedenen" gesprochen, die vergangenes Wochenende überall in Russland stattfinden sollten. Die Opposition wollte auf die Straße gehen - das "Andere Russland", ein Zusammenschluss aus Parteien, Gruppen und Politikern, die für ein Russland ohne Wladimir Putin sind.

Es zeigte sich allerdings, dass die Behörden besser auf die Märsche vorbereitet waren als die Organisatoren selbst. Und sie haben auch aktiver daran teilgenommen. Wahrscheinlich kamen insgesamt mehr Polizisten, Omon-Kämpfer aus Polizei-Sondereinheiten und Leute in Zivil aus den Sicherheitsdiensten als unzufriedene Demonstranten. In vielen russischen Städten wurden die Aktionen verhindert, bevor sie überhaupt stattfinden konnten. Diejenigen, die Putin nicht lieben, wurden auseinander gejagt, geschlagen und festgenommen. Gleichzeitig wurden auch Journalisten bei der Arbeit behindert und von Informationen abgeschnitten. Über diese Demonstrationen soll niemand mehr schreiben.

Die Journalistin Olga Kitowa ...

... schreibt seit vielen Jahren über Korruption und Amtsmissbrauch in Russland. Im Dezember 2001 wurde sie zu zweieinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, wegen angeblicher "Verleumdung, Beleidigung und tätlichen Angriffs" auf Mitglieder der örtlichen Miliz. Ende 2003 wurde ihr in Wiesbaden der Preis der Pressefreiheit vom Deutschen Journalisten Verband verliehen.
Bei stern.de schreibt sie exklusiv und persönlich über Russland vor der Parlamentswahl.

Der Staat hat wieder einmal gezeigt, dass er es seinen Bürgern nicht mehr erlaubt, anderer Meinung zu sein. Wird es in Russland wieder gefährlich für die Andersdenkenden? In Moskau wurde der ehemalige Schachweltmeister und Oppositionsführer Garri Kasparow aus der Bewachung und aus einem Kreis von Journalisten herausgerissen und verhaftet. Ein Gericht verurteilte ihn sofort zu fünf Tagen Haft wegen "Widerstand gegen die Staatsgewalt". Auch der Menschenrechtler Lew Ponomarjow wurde verhaftet. Und in Petersburg erwischte es den liberalen Politiker Boris Nemzow. Er hatte angeblich die Straße falsch überquert - nicht bei grün, sondern bei gelb. Journalisten konnten beobachten, wie ihn Omon-Kämpfer wegen dieses angeblichen Verkehrsvergehens in ein Auto zerrten.

Keiner der politischen Organisatoren konnte an der Aktion in Petersburg teilnehmen, weil sie allesamt noch vor Beginn festgehalten wurden. Insgesamt traf es dort etwa 150 Menschen. In Nischnij Nowgorod schafften es die Demonstranten gerade einmal "Russland ohne Putin" zu rufen - schon rückten Omon-Kräfte an und nahmen sie mit. In Nasran wurden Elektroschockgeräte eingesetzt, und auch in Krasnojarsk wurden Menschen auseinander getrieben.

Aber es geht nicht nur darum, wie der Staat die Bürgerrechte seiner Bewohner systematisch und zynisch unterdrückt. Es ist mindestens genauso wichtig, dass russische Fernsehzuschauer davon quasi nichts erfahren haben. In den wichtigsten drei Fernsehsendern kam der "Marsch der Unzufriedenen" fast nicht vor. Überall wurde nur eine Meldung gesendet - sehr kurz, sehr ungenau und nur im allgemeinen Nachrichtenüberblick. Die drei Meldungen in den drei Sendern glichen einander bis aufs Wort. Die "Unzufriedenen" wurden ausnahmslos als "Extremisten" und "Radikale" bezeichnet, die öffentliche Unruhen auslösen wollten. Die Polizei sei provoziert worden. Nur tausend Menschen seien gekommen. Keiner dieser Sender berichtete von der Festnahme Kasparows und Nemzows, es fiel auch kein Wort darüber, dass die Aktion in Petersburg quasi nicht stattfinden konnte.

Nur der kleine Kanal Ren-TV sendete eine Reportage über den Marsch. Man zeigte, wie die Polizei mit Schlagstöcken auf die Menschen einprügelte. Und man sagte auch, dass etwa 3000 Demonstranten gekommen waren. Je weniger das Volk weiß, desto zufriedener schläft es, denkt man sich wahrscheinlich.

Olga Kitowa