Ukraine-Krieg Was Sie, Harald Welzer, eine "Story" nennen. Eine Replik auf Ihren Kommentar

Von Peter-Matthias Gaede
Explosion in Kiew
So sieht es aus, wenn eine Rakete eine Shopping-Mall in Kiew zerstört. Es herrscht Krieg und keine "Problemstellung", wie der langjährige Geo-Autor Peter-Matthias Gaede in einer Replik auf den Sozialpsychologen Harald Welzer
© Anastasia Vlasova / Getty Images
Harald Welzer beklagte im stern Rhetorik und Militanz der Berichterstattung und das Einordnen der Situation in "Gut" und "Böse". Zynisch findet das Peter-Matthias Gaede, Autor und langjähriger Chefredakteur und Herausgeber des Geo-Magazins. Er fragt: Ist bei Ihnen, Herr Welzer, überhaupt angekommen, dass in der Ukraine Krieg herrscht?

Klar, "tapfer" oder gar "Held" muss man in Komfortzonen nicht sein. Auch nicht "bis zum Ende kämpfen". Tapfer kämpfen zur Zeit die Ukrainer – und den Sozialpsychologen Harald Welzer, vom stern dem Lager der Intellektuellen zugeschrieben, stört das offenbar erheblich. So dürfe man über den Krieg nicht schreiben, meint er. Auch nicht von "Widerstandsikonen".

Und wie könnten denn die Medien Bilder von weinenden Frauen zeigen, wehrlosen zumeist? (Sind sie es nicht, denn sie haben eben keine Flugabwehrwaffe zur Hand?) Und von Männern, die "mannhaft" an die Front zögen? (Sind sie nicht mutig?).

Für Harald Welzer ist das alles grundfalsch. "Tapferes Volk, die Ukrainer, jaja", schreibt er wörtlich. Offenbar genervt, fast überdrüssig. Nirgendwo höre man ein "Moment mal." (Hört man allerdings auch nicht in den Panzern der Angreifer).

Moment mal: Was? 

Kann ja sein, dass es in Herrn Welzers privaten Lebenszusammenhängen von entscheidender Wichtigkeit ist, sich in einer wattierten Wortwahl wohlzufühlen. Und wenn er nur das vermutlich in jedem Krieg verschossene Pathos kritisieren würde, wär's ja auch nicht weiter erwähnenswert.

Was Welzer schreibt, ist viel zynischer als bloße Kritik an zu viel Pathos

Was er aber schreibt, ist viel zynischer. Es ist sogar erbärmlich. Zu Menschen, die ihr Land verteidigen und jenen, die das als "aufopferungsvoll" bezeichnen, schreibt er ein verächtliches "wow". Dem Präsidenten eines brutal überfallenen Landes, dessen Bevölkerung sich 1991 zu über 92 Prozent für ihre Unabhängigkeit ausgesprochen haben und dies sogar von Herrn Putin akzeptiert sehen möchten, bescheinigt er eine aus der Schauspielerei gelernte gute "Performance".

Und würde ihn dort nur jemand hören, würde Herr Welzer den Frauen und Männern in der Ukraine vermutlich zurufen, dass sie die Rettungsteams, die in den Trümmern eines Theaters in Mariupol immer noch nach Menschen graben, um Himmelswillen nicht Helden nennen dürfen. Und die mutige Fernsehjournalistin Marina Owsjannikowa bloß nicht eine Widerstandsikone. Das ist einem deutschen Sozialpsychologen alles einfach zu theatralisch.

Ja, offenbar kommt es für Herrn Welzer sogar einer gewissen Kriegstreiberei gleich. Als gebe es diesen Krieg womöglich gar nicht, würden wir nur das von ihm vorgeschlagene "ja, aber" beherzigen. 

Desweiteren beklagt Herr Welzer die Verführungskraft der "David-gegen-Goliath"-Erzählung. Tja, die militärische Ausstattung einerseits Russlands, andererseits der Ukraine wird er kennen. Scheint ihn aber nicht zu kratzen beziehungsweise dennoch zu stören, wenn dieses Ungleichgewicht erwähnt wird und zu einer gewissen Parteinahme für den Unterlegenen führt. Die ja auch eine Parteinahme für Demokratie versus Diktatur ist. Für Selbstbestimmung versus Okkupation. Für Ehrlichkeit versus Propaganda.

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In der Ukraine herrscht Krieg – und nicht eine "Problemstellung"

Frage, Herr Welzer: Ist bei Ihnen eigentlich überhaupt schon angekommen, dass es in der Ukraine tatsächlich einen Krieg gibt? Und zwar nicht um Wörter. Einen Krieg, und nicht, wie Sie so elaboriert formulieren, eine "Problemstellung"? Und auch wenn Sie kein Historiker sind: Sie kennen das Wort "appeasement". Und das, was es im historischen Kontext einst so tragisch bedeutet hat. Nämlich die Illusion Großbritanniens und Frankreichs, den Diktator Hitler damit besänftigen zu können, ihm Teile der damaligen Tschechoslowakei zuzugestehen. Hat es Hitler aufgehalten?

Sollen wir also ein Land in die Diktatur des Herrn Putin verabschieden (ohne Meinungsfreiheit, ohne Pressefreiheit, mit politischen Morden, mit Unterstützung von Massenmördern wie Assad und so weiter), weil wir nicht mehr, wie Sie es fordern, in Gut und Böse unterscheiden dürfen? Diese Unterscheidung nennen Sie eine "Story". Und die, schreiben Sie, sei einfach "zu gut". Womit Sie insinuieren, es sei eine Erzählung, die man auch ganz anders schreiben könnte. "Zu gut" bedeutet ja wohl: zu einfach, zu billig.

Was aber ist dann Ihre Story? Wenn man Ihre Gehässigkeiten gegenüber allen jenen liest, die noch zu kämpfen und zu leiden wagen und dabei vielleicht sogar wirklich zu Helden werden (auch wenn Sie das Wort so ekelt), kann man nur zu dem Schluss kommen: Ihre Story, aus dem pups-warmen Sessel heraus geschrieben, wäre Kapitulation. Mindestens Bequemlichkeit. Faktisch die Aufgabe eines Landes, in dem die Menschen doch ganz gerne entscheiden würden, nicht in ein Gefängnis eingewiesen zu werden.

Schwadronieren Sie also weiter über die Militanz der Wörter. Aber sagen Sie bitte nicht den Frauen und Männern in der Ukraine, was sie tun sollten – und als was sie ihr Tun empfinden und wie sie es benennen.

kng