US-Küste Ein deutscher Seemann trotzt "Gustav"

Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 145 Stundenkilometern peitschte Hurrikan "Gustav" über New Orleans. Fast alle Einwohner hatten die Stadt verlassen. Aber ein Deutscher folgte den Warnungen nicht. Heinz Neumann blieb. Im stern.de-Interview erzählt er über seine Begegnung mit "Gustav".

Herr Neumann, wie geht es Ihnen?

Es geht schon ziemlich wild zu. Ich bin in meinem Haus am Canal Boulevard, im Nordwesten von New Orleans. Ich sitze in meinem Schlafzimmer im ersten Stock, habe alle Fenster und Türen verriegelt. Die Fenster ruckeln heftig, der Wind hat die Kategorie zwei erreicht. Ein paar Ziegeln sind vom Dach geflogen und die Scheunentore vor dem Haus sind aus den Schienen gehoben. Die Bäume im Garten biegen sich gefährlich zur Seite. Es kam aber bisher erstaunlich wenig Regen runter. Das Auge des Sturms ist jetzt westlich von uns. Der Hurrikan hat sich sehr verteilt, ist rüber nach Mississippi und Alabama. Wir haben ursprünglich gedacht, dass wir das alles abbekommen. Aber es ist noch nicht überstanden, wir müssen noch mit viel Niederschlägen und einem ganz schön starken Sturm rechnen.

Wie stark ist der Wind?

Rund 120 Stundenkilometer. Das ist stark genug, um heftige Schäden anzurichten. Der Sturm war am Anfang sogar noch stärker. Hurrikans sind unberechenbar.

Wieso haben Sie sich nicht in Sicherheit gebracht?

Meine Frau ist vor fünf Jahren gestorben. Nach vierzig Jahren Ehe. Sie hat sich hier sehr wohl gefühlt. Wir haben die schönsten Jahre unseres Lebens hier verbracht. Ich möchte hier nicht weg. Sie ist nur rund zwei Kilometer entfernt in einem Mausoleum begraben. Ich bin zwar 75 Jahre alt, aber ich bin noch gut drauf und guten Mutes.

Ist der Sturm so zerstörerisch wie Hurrikan "Katrina" vor drei Jahren?

Ich glaube nicht. Damals bin ich auch hier geblieben. Die Bäume vor dem Haus flogen davon. Ich hörte einen großen Knall, als die Deiche brachen. Dann ging auf einmal alles ganz schnell, es kam eine zehn Meter hohe Welle. Das Wasser stieg bis zum ersten Stock. Ich bin im Haus rauf und runter gerannt, um möglichst viel zu retten. Irgendwann musste ich aber aus dem Dachfenster klettern und mich selber von einem Boot retten lassen. Das Haus überstand den Sturm. Aber drei Wochen lang stand das Wasser im Haus. Alles war kaputt, der Computer, wichtige Akten, Möbel.

Zur Person

Heinz Neumann, 75, leitet seit bereits 38 Jahren die deutsche Seemannsmission in New Orleans. Der gebürtige Breslauer ist Seemannspastor im Hafen von New Orleans. Obwohl seit zehn Jahren im Ruhestand, betreut er ehrenamtlich internationale Seeleute, die am Hafen von New Orleans anlegen. Er geht an Bord und ist für die Sorgen und Nöte der Seeleute da. Die Deutsche Seemannsmission e.V., Hauptsitz in Bremen, ist als selbstständige diakonische Einrichtung Teil der evangelischen Kirchen in Deutschland. Die DSM unterhält im Ausland über 17 Seemannsstationen, die eine "Heimat in der Fremde" für Seeleute bieten. Mehr als 700 Frauen und Männer arbeiten weltweit haupt- und ehrenamtlich für die Deutsche Seemannsmission. http://www.seemannsmission.org/index.htm <http://www.seemannsmission.org/index.htm>

Kommt jemand, um sie zu retten, wenn Ihr Haus diesmal auch überflutet wird?

Nein, diesmal nicht. Diesmal gibt es keine Rettungsboote oder Hubschrauber. Der Bürgermeister von New Orleans hatte die Zwangsevakuierung der Stadt im Vorfeld des "Sturms des Jahrhunderts" angeordnet, um die Menschen vor einer Katastrophe wie vor drei Jahren zu schützen. Wer dennoch bleibt, ist ganz auf sich alleine gestellt. Es wird niemand kommen, um zu helfen.

Wie gefährlich ist die Situation für Sie?

Mein Haus hat schon ein paar Mal richtig vibriert. Aber wenn ich im Haus bleibe, ist es sicher. Man soll sich von den Fenstern fern halten. Man soll nicht raus auf die Straße, weil man von fliegenden Gegenständen oder Bäumen getroffen werden kann. Ich bin besorgt, habe aber keine Angst. Ich hoffe, dass mein Haus durchhält.

Haben Sie Ihre Fenster mit Sperrholzplatten verdeckt?

Nein, habe ich nie gemacht. Ich habe spezielle Hurrikanfenster, bruchsichere Doppelfenster. Ich hoffe, es wird nicht ganz so schlimm.

Wie hatten Sie sich für den Sturm vorbereitet?

Ich habe viel Trinkwasser besorgt. Auch etwas Bier. Und zum Essen habe ich viel Studentenfutter, Erdnussbutter, Konserven, Suppen. Und einen Gaskocher, mit dem ich mir etwas warm machen kann. Ich bin ja alleine und brauche nicht so viel. Ich laufe mit Taschenlampen in verschiedenen Größen durch das Haus, Kerzen zünde ich wegen der Wärme nicht an, es ist 29 Grad warm. Die Klimaanlage funktioniert nicht mehr, weil der Strom ausgefallen ist. Der Fernseher geht auch nicht mehr. Ich habe nur ein batteriebetriebenes kleines Radio, um überhaupt noch mitzubekommen, was los ist.

Wie ist die Stimmung jetzt in der Stadt?

Die Stadt ist menschenleer, kein Fahrzeug fährt mehr. Diejenigen, die noch zurückgeblieben sind, haben Ausgangsperre. Das Militär hat sich an strategische Punkte zurückgezogen. Plünderer sind bei dem Sturm keine Gefahr mehr. Bei "Katrina" war es furchtbar, da waren überall Plünderer unterwegs. Das läuft diesmal deutlich besser ab. Wer auf der Straße unterwegs ist, wird sofort verhaftet. Etwa 2000 Soldaten der Nationalgarde sorgen für Sicherheit. Die Stadt hat sich diesmal gut vorbereitet, das Militär hat bis zuletzt die Leute aus dem Altersheim herausgeflogen.

Die Flutwelle von "Katrina" hatte zahlreiche Dämme bersten lassen und 80 Prozent von New Orleans überflutet. Halten die Dämme diesmal?

Nach Hurrikan "Katrina" haben die US-Behörden die Deiche rund um New Orleans aufgestockt. Ich denke, diesmal werden sie halten. Jedoch der "Industrial Canal" im Osten der Stadt ist etwas in Gefahr. Drei Schiffe haben sich vom Anker gelöst und schlagen jetzt gegen die Wände des Kanaldamms. Wenn der bricht, dann geht hier wieder einiges flöten.

Interview: Kety Quadrino