"Youtube, CNN und ein paar engagierte Bürger werden in diesem Sommer politische Geschichte schreiben" - mit markigen Worten pries der US-Fernsehsender eine Debatte der demokratischen Präsidentschaftskandidaten in South Carolina an, in der sich die Bewerber den Fragen des Internetvolkes stellen sollten. Youtube-User waren aufgerufen, maximal 30 Sekunden lange Videos mit einer konkreten Frage an CNN zu schicken. Aus diesen wählte die Redaktion einige aus, die der Sender den Demokraten vorspielte. Die daraus resultierende Debatte wurde am Montagabend auf CNN übertragen.
Journalisten hätten anders gefragt
"Es gab Fragen, die wir als Mainstream-Medium niemals in einer Präsidentschaftsdebatte gestellt hätten", sagte David Bohrman, Senior Vice President von CNN. Mit dieser Form der Berichterstattung wollten die Journalisten ihrer Aussage nach testen, "wie Menschen, die Präsident werden wollen, denken und mit Problemen und Fragen außerhalb ihrer Komfortzone umgehen". Die eingereichten Fragen behandelten so unterschiedliche Themen wie Arbeitsplatzabbau, den Einfluss von Lobbyisten auf politische Entscheidungen, Überbelegung der Gefängnisse, Irak und Ehe von Homosexuellen.
Die CNN-Journalisten filterten ein paar Fragen heraus, wohl um eine gewisse Themenstreuung zu erzielen. Im Fachjargon heißt das einfach "Gatekeeper-Funktion": Die Redakteure fungieren als Schleusenwärter und lassen nur die News durch, die sie als wichtig erachten. Diese Vorgehensweise stieß jedoch bei vielen Usern auf Unverständnis. "Wenn CNN die totale redaktionelle Kontrolle über die Videos hat, die den Kandidaten gezeigt werden, zieht es der sogenannten Revolution des vom Nutzer erzeugten Inhalts den Boden unter den Füßen weg", schrieb Joshua Levy von Techpresident.com bereits vor der Debatte. "Das ist alles weniger faszinierend, wenn eine dritte Partei uns sagt, welche Fragen interessant sind und welche nicht."
Nutzer verärgert über CNN
"Der Versuch, bei diesem Prozess als Vermittler aufzutreten, suggeriert, dass der Rest von uns dieser Aufgabe nicht gewachsen ist - und das ist nicht wahr", schrieb User "Cresence" auf der CNN-Homepage. "Da wird doch nur ein weiteres verdorbenes Element unseres angeblich so demokratischen Prozesses kreiert", wetterte "Fred".
Das wiederum sehen Politikwissenschaftler anders: Christian Hacke vom Institut für politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn hält es nicht für sonderlich relevant, wer die Themen aussucht: "Die werden am Ende in jedem Fall zugespitzt." Sebastian Harnisch, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Heidelberg, sieht eine Auswahl durch die User noch kritischer: "Ich bin mir nicht sicher, ob durch ein Wählervotum ein breites Themenspektrum abgedeckt wird." Hätten die User die Entscheidungshoheit, verlören die Journalisten ihre Gatekeeper-Funktion, und der Fernsehsender diene nur noch als technische Plattform.
"Selbstregulierung funktioniert nicht"
"Die Selbstregulierung im Internet funktioniert einfach nicht", sagt Peter Filzmaier, Leiter der Abteilung Politische Kommunikation an der Donau-Universität Krems. Was sich in der Theorie schön anhöre, könne in der Praxis rechtliche Probleme nach sich ziehen.
Auch wenn der neue Präsident der USA erst im November 2008 gewählt wird - die Kandidatenschar umschmeichelt bereits heftig ihre potenziellen Wähler, vor allem die jüngere Zielgruppe. Die Bedeutung des virtuellen Wahlkampfes im Internet nimmt zu: Waren es bei der Präsidentschaftswahl 2004 vor allem Weblogs, die als effektiver Vertriebsweg für einseitige politische Botschaften genutzt wurden, rücken zunehmend Videoportale in den Fokus. Mit dem sogenannten Micro-Targeting werden gezielt Wählergruppen ins Visier genommen. "Die politischen Parteien haben das Zielen auf spezielle Wählergruppen für sich entdeckt", sagt Harnisch. Der Wahlkampf vor Ort von Angesicht zu Angesicht befinde sich aber "sicher nicht im Abgesang" - er werde vielmehr durch den virtuellen Wahlkampf ergänzt.
Virtueller Wahlkampf immer wichtiger
Die Homepage Techpresident.com listet minutiös auf, wie häufig die Namen der Präsidentschaftskandidaten in Weblogs genannt werden, wie viele Unterstützer die Bewerber in Internetnetzwerken wie Facebook und Flickr haben und wie oft ihre Namen bei Youtube eingegeben werden. Die Ergebnisse decken sich in etwa mit den Umfragen: Die drei Demokraten Barack Obama, Hillary Clinton und John Edwards belegen stets die ersten drei Plätze.
Politikwissenschaftler Filzmaier prophezeit der Einbindung von Videoportalen in den Wahlkampf eine ähnliche Entwicklung wie den Weblogs. Da sei zunächst auch eine regelrechte Hysterie entstanden, die Blogs seien in Analysen maßlos überschätzt und als entscheidend für den Wahlausgang bezeichnet worden. Inzwischen seien sie aber ein ganz normales Instrument im Wahlkampf.
Kein Wahlkampf von der Couch
Die Media-Mix-Strategie hält Filzmaier zwar für richtig, aber letztendlich müssten immer Wähler vor Ort auf der Straße mobilisiert werden. Eins steht für ihn fest: "Kein Präsidentschaftskandidat kann jemals einen virtuellen Wahlkampf von der Couch aus führen."