Desaster", "Flop", "schrecklich", "glanzlos", "unfassbar schwach" - das Urteil nach dem ersten TV-Duell um die US-Präsidentschaft war gnadenlos. Barack Obamas blasser, fast schon lethargischer Auftritt versetzte das demokratische Lager in Alarmbereitschaft, zumal Herausforderer Mitt Romney eine überrschaschend souveräne Vorstellung ablieferte. Von "blanker Panik" war in manchen liberalen Blättern zu lesen. Einige fürchten gar, Obama hätte mit seinem 90-minütigen Dornröschenschlaf vor 67 Millionen Zuschauern seine Wiederwahl verspielt.
Neue Dynamik im Wahlkampf
Sicher ist: Bei einem soliden Auftritt Obamas wäre der Präsident der zweiten Amtszeit ein gutes Stück näher gewesen. Er hatte gerade deutlichen Aufwind. Stattdessen kennen die Umfragewerte nach dem Duell für Obama nur eine Tendenz: nach unten. In einigen Bundesstaaten macht Romney im Vergleich zum Vormonat zweistellige Prozentpunkte gut - so etwas hat es so kurz vor einer Wahl selten gegeben. Wenn überhaupt, liegt Obama im Moment nur noch hauchdünn vorn.
Was kaum jemand für möglich gehalten hat: Die Dynamik des Wahlkampfes hat sich seit dem ersten TV-Duell vollständig verändert. Plötzlich bekommt Romney Aufmerksamkeit der Medien, steht dessen Persönlichkeit im Vordergrund - und gleichzeitig sind Obama und seine dünne Agenda in der Kritik.
Bürger haben das Wort
Die Spannung vor dem zweiten Duell ist entsprechend groß. Die heutige Debatte an der Hofstra-Universität in Hempstead/New York wird in Form eines "Townhall Meetings" geführt. Obama und Romney müssen sich abwechselnd Fragen von Bürgern stellen. Sie bekommen zunächst nur zwei Minuten Redezeit je Antwort. Keiner der beiden Kandidaten kann ein Heimspiel erwarten. Im Publikum sitzen ausschließlich unabhängige Wähler, keine Parteigetreuen. Ein guter Test: Gerade diese Unentschlossenen gilt es, bei dieser Wahl zu überzeugen. Nicht nur im Universitätssaal, sondern auch zu Hause vor den Fernsehern.
Obama liegt das spontane Reden allerdings nicht. Auch kurze, prägnante Sätze zu formulieren und seine Botschaften auf den Punkt zu bringen, ist nicht seine Stärke. Oft verliert sich der Präsident in ermüdenden Schachtelsätzen. Doch genau das darf ihm jetzt nicht passieren, wenn er überzeugen will.
Obama paukt für Revanche
Obama hat angekündigt, den Schalter umzulegen. Er wolle energischer und angriffslustiger sein. Schon die Vorbereitung auf die Neuauflage des Schlagabtauschs ist ernster als vor der ersten Debatte in Denver. Der Präsident zog sich am Wochenende in ein Hotel nach Williamsburg/Virginia zurück, um für das Duell zu pauken. Sein Team bemüht sich, jegliche Form von Ablenkung von ihm fernzuhalten. Selbst Golf spielen war untersagt.
Obamas Chefberater David Axelrod erklärte im US-Fernsehen, dass sich Obama intensiv mit seinem denkwürdigen Auftritt auseinandergesetzt habe. Und kritisch mit sich gewesen sei. "Niemand ist ein härterer Kritiker seiner selbst als der Präsident", sagte Axelrod im Gespräch mit Fox News. Und auch er versprach: Obama werde anders auftreten als beim ersten Duell.
Republikaner sind gelassen
Auch Romney hat am Wochenende sein Wahlkampfprogramm unterbrochen, um sich auf die zweite Debatte einzustimmen. Er war in einem seiner Häuser nahe Boston im US-Bundesstaat Massachusetts. Das republikanische Lager bereitet sich auf einen aggressiveren Obama vor, bleibt aber gelassen. "Der Präsident kann seinen Stil ändern und seine Taktik. Aber er kann nicht seine Politik ändern. Und genau um die geht es bei dieser Wahl", sagte Romney-Berater Ed Gillespie auf CNN.
Thematisch wird es um Innen- und Außenpolitik gehen. Gerade letztere machte das Romney-Lager in den vergangenen Tagen verstärkt zu einem Wahlkampfthema. Die Republikaner üben wegen des Angriffs auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi starken Druck auf Obama aus.
Ziel: Stärke ausstrahlen
Abseits der Inhalte wird es erneut auf die Körpersprache der beiden Kontrahenten ankommen. Obamas stetes Nach-unten-Schauen wirkte im ersten Duell auf viele Amerikaner verstörend. Vor allem, weil es im starken Kontrast zu Romneys selbstbewusster, aufrechter Körperhaltung stand. Der Präsident ließ mit dieser Haltung vermissen, was für US-Bürger elementar wichtig ist: Ausstrahlung und Führungsstärke. Obama weiß, dass er es bei der Neuauflage der Debatte tunlichst vermeiden muss, erneut wie ein mürrischer kleiner Junge zu wirken, der stillschweigend-trotzig macht, was seine Mutter ihm aufgebrummt hat.
Sollte dem Präsidenten ein starker Auftritt gelingen, kann er sich der positiven Schlagzeilen sicher sein. Nichts liebt Amerika mehr als Comebacks. Sicher ist aber auch: Einen zweiten Flop kann sich Obama nicht leisten. Das demokratische Lager übt sich daher in Optimismus: Ein zweites Mal hintereinander könne Obama unmöglich so schlecht sein.