Aktion in Hamburg Meine Nacht im Flüchtlingszelt

Von Linda Wickering
In der Hamburger Hafencity stehen fünf Flüchtlingszelte der etwas anderen Art, bestückt mit Betten, Kommode und Spiegel. Hier kann man für eine Nacht einchecken - für einen guten Zweck. Linda Wickering hat es ausprobiert.

Mittwochabend, 20 Uhr. Ich bin in der Hamburger Hafencity angekommen und überquere die Baakenhafenbrücke. Auf einer kleinen Rasenfläche sehe ich das Zeltdorf: Hier will ich hin. Heute Nacht schlafe ich in einem "Domo". Das ist ein Zelt, das in Krisenregionen Flüchtlingen und Opfern von Naturkatastrophen ein menschenwürdiges Zuhause bieten soll. 

Die Domo Zelte wurden vom Hamburger Sozialunternehmen "More Than Shelters" entworfen. Das Ziel: Menschen auf der Flucht ein temporäres Zuhause bieten, das sie sich selber einrichten können. In Nepal stehen bereits die ersten 14 "Shelter" und auch in Jordanien ist das Unternehmen aktiv. Shelter bedeutet Unterschlupf, ein passendes Wort, findet Unternehmensgründer Daniel Kerber: "Wir wollen ein menschenwürdiges Zuhause schaffen, schließlich leben die Flüchtlinge oft mehrere Jahre hier. Die Zelte sollen an klimatische und kulturelle Gegebenheiten vor Ort angepasst werden können."

Vier dieser Zelte stehen - bequem ausgestattet - bis zum 22. August in Hamburg. Sie wurden zu einer Art Domo-Hotel umfunktioniert: Dort können jeweils bis zu vier Menschen übernachten. Der Preis für jede Übernachtung soll in Form von Flüchtlingszelten an Menschen in Not gespendet werden.

3,5 Quadratmeter für jeden Flüchtling

Als ich das Eingangszelt, was sich später als Gemeinschaftsraum entpuppen wird, betrete, begrüßt mich Felix Klein von "More Than Shelters". Bei ihm kann ich einchecken. Er führt mich zu meinem Domo, ein sechseckiges Zelt, das für diese Nacht mein kleines Reich sein wird. Obwohl - von klein kann nicht die Rede sein: 24 Quadratmeter Platz. Dass in Wirklichkeit jedem Flüchtling lediglich 3,5 Quadratmeter zustehen verleiht mir ein flaues Gefühl im Magen.

Insgesamt fünf Zelte stehen auf der kleinen Grasfläche inmitten des Hamburger Hafengeländes. Sie sehen ein bisschen aus wie Iglus. Der Sonnenuntergang taucht alles in rot-orangenes Licht und die ganze Situation kommt mir etwas surreal vor.

Ein Zelt, ein Bett - Luxus

Alle Zelte sind belegt. Das Pärchen im Nachbarzelt ist ganz spontan vorbei gekommen "Mein Bruder hat uns auf die Aktion aufmerksam gemacht", erzählt Hannah Olbert (28). So langsam kommt man ins Gespräch, es wird dunkel. Noch lange sitzen wir zusammen, diskutieren über die Not in der Welt, über die vielen Flüchtlinge, die momentan in Europa ankommen, und darüber, wie gut wir es im Vergleich haben. So ein Abend erdet.

Um Mitternacht ziehen sich alle langsam in ihre Zelte zurück. Ich schlüpfe in mein Bett - ein Luxus, den die Flüchtlinge wohl nicht haben. Es ist recht kühl im Zelt und vom Regen feucht. Aber die Decken wärmen und neben den dumpfen Hafengeräuschen döse ich ein.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Am nächsten Morgen weckt mich Teller- und Tassengeklapper. Es gibt Frühstück. Felix Klein erzählt, in Flüchtlingscamps wird jedem "Bewohner" pro Tag eine gewisse Kalorienzahl zugeteilt, die ihm/ihr zusteht. Wieder bekomme ich dieses flaue Gefühl im Magen.

Anfragen aus Deutschland

Domos wurden ursprünglich vom als "Gerüst" entworfen, um in den unterschiedlichsten Regionen der Erde Menschen in Notsituationen ein Dach über dem Kopf bieten zu können. Ein Dach, das ein Zuhause werden kann und soll. Plötzlich hat sich auch in Deutschland die Lage zugespitzt. Die Unterbringung der Flüchtlinge wird zur Herausforderung. Daniel Kerber erhält Anfragen, doch er ist skeptisch: "Es kann nicht sein, dass in einem Land wie Deutschland Menschen in Zelten hausen müssen. Wir haben so viele Ressourcen und hätten es anders lösen können". Natürlich wollen sich Kerber und sein Team mit ihrer Expertise einbringen, wo es geht. Rein technische Lösungen seien menschenunwürdig und man müsse sie ablehnen.

Nach dem Frühstück packe ich meinen Rucksack und verlasse das Camp. Es war eine gute Erfahrung, doch ich bin nachdenklich gestimmt. Die Erlebnisse muss ich erst mal sacken lassen.