Die Bilanz des Parteitags in Riesa wirkt eindeutig genug. Die AfD wählte Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin, die sich so aggressiv wie selten zuvor präsentierte.
Und die Partei beschloss ein besonders extremes Wahlprogramm. Darin fordert sie explizit die sogenannte Remigration von Ausländern, den Austritt aus der Eurozone sowie das Ende von Klimawende und Russland-Sanktionen. Unter anderem.
Anschlussfähiger an andere Parlamentsparteien ist die AfD damit nicht geworden. Ganz im Gegenteil. In ihrer Rede bemühte sich Weidel auffällig darum, mindestens so radikal zu klingen wie der Rechtsextremist Björn Höcke.
Sogar Götz Kubitschek wirkt in die Partei integriert
Bedeutet dies also, dass die Parteispitze ihren fundamentaloppositionellen Kurs unbeirrt fortsetzen will? Nicht unbedingt.
Vielmehr existiert eine Art Vierjahresplan: Bis 2029 soll die AfD regierungsfähig sein.
Dabei spricht der äußere Eindruck durchaus für eine weitere Selbstradikalisierung. Als die Delegierten "Alice für Deutschland" skandierten, zitierten sie nicht nur den Wahlkampfslogan "Zeit für Deutschland". Eher übte damit der Chor eine Anlehnung an den ähnlich klingenden SA-Slogan "Alles für Deutschland", wegen dessen Verwendung Höcke bekanntlich gleich zweifach verurteilt wurde.
Dazu passte, dass Götz Kubitschek durch den Saal in Riesa lief und in selbstverständlicher Pose mit Delegierten und Parteifunktionären schwatzte. Vor gar nicht so langer Zeit galt der Verleger, der Höcke seit mehr als einem Jahrzehnt berät, als Außenseiter; sogar die Aufnahme in die Partei wurde ihm einst verweigert. Nun wirkt er vollständig integriert.

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Und dennoch: In Riesa schloss die AfD endgültig die zweite Etappe ihrer Evolution ab. Nach der zweijährigen Gründungsphase hatte sie sich seit 2015 fortlaufend radikalisiert und gleichzeitig als feste Größe in nahezu allen Parlamenten etabliert.
Inzwischen besitzt die AfD in Teilen der Gesellschaft die Diskurshoheit. Auf dem ostdeutschen Land beansprucht sie sogar vielerorts die kulturelle Hegemonie.
Je extremer, umso besser: So lautete in dieser Etappe die Strategie der Partei. Und dies mit Erfolg. Falls sich die Umfragen bestätigen, kann die AfD bei der Bundestagswahl zur zweitstärksten Kraft anwachsen. Um dieses Ziel zu erreichen, erhöhte Weidel in Riesa ihr ohnehin beachtliches Demagogie-Level noch einmal deutlich.
Die selbst errichtete Brandmauer
Doch der Preis dafür ist hoch. Die AfD schließt sich selbst von jeder Gestaltungsmacht aus. Knapp zwölf Jahre nach der Gründung ist nirgendwo eine Regierungsbeteiligung in Sicht; zugleich bleibt die Partei von einer absoluten Mehrheit weit entfernt.
Die sogenannte Brandmauer, die Weidel so gerne in ihren Opfergesängen beklagt: Sie hat sie selbst mit errichtet.
Deshalb wird die AfD nach der Wahl am 23. Februar in die dritte Etappe gehen und einen Strategiewechsel einleiten. Insbesondere die Fratelli d'Italia haben vorgemacht, wie man mit verbaler Radikalität, aber taktischer Geschmeidigkeit an die Macht gelangt.
Weidel will die AfD im Auftritt und in der Struktur weiter professionalisieren und nebenbei vor einem möglichen Verbotsverfahren bewahren. In dieser Hinsicht wurde in Riesa ein wichtiger Schritt absolviert: die Abspaltung der offen rechtsextremistischen Jungen Alternative.
Höcke befindet sich in der Minderheit
Stattdessen soll ein Jugendverband ausgerechnet nach dem Vorbild der als "Kartellpartei" diffamierten SPD etabliert werden. Das heißt, dass künftig alle AfD-Mitglieder bis 36 automatisch der Nachwuchsorganisation angehören.
Genau an dieser Stelle zeigte sich am Wochenende der strategische Konflikt zu Höcke. Der Thüringer Landeschef wollte das Thema vertagen lassen – und scheiterte. Am Ende wurde die nötige Zweidrittelmehrheit für die nötige Satzungsänderung locker erreicht.
Damit erwies sich erneut: Die Zukunft der Partei gehört nicht Höcke, sondern der Kanzlerkandidatin und der mit ihr verbündeten nächsten Generation. Dazu zählen EU-Fraktionschef René Aust, der stellvertretende Bundestagsfraktionschef Sebastian Münzenmaier oder der Brandenburger Landesvorsitzende René Springer.
Ihr Vorhaben ist es, Weidel bei der nächsten Vorstandswahl 2026 als alleinige Vorsitzende zu etablieren. Ein Generalsekretär aus dem Netzwerk der Jungen würde dann für sie die Partei disziplinieren.
Auch inhaltlich wird die AfD abrüsten müssen, um mittelfristig andocken zu können. Schon in Riesa verschwand die Forderung nach einem Dexit, also einem Austritt aus der Europäischen Union, auf Antrag von Aust und anderen wieder aus dem Wahlprogramm. Und das soll nur der Anfang sein.
Parallel dazu dürfte die Partei versuchen, vor allem in den ostdeutschen Parlamenten Tolerierungsmodelle zu etablieren. In Sachsen, wo die CDU eine Minderheitsregierung anführt, könnte es bereits nach der Bundestagswahl in Richtung einer partiellen Duldung gehen. Dasselbe wäre dann 2026 nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern möglich.
Hoffen auf Trump, Kickl und Le Pen
Koalitionen als Juniorpartner jedoch wären für die AfD vorerst noch gefährlich. Das Beispiel des BSW zeigt, dass die dann nötige Suche nach Kompromissen automatisch auf Kosten des radikalpopulistischen Profils im Bund geht.
Parallel dazu darf die AfD darauf hoffen, dass sich die globalen Umstände weiter zu ihren Gunsten entwickeln, mit einem US-Präsidenten Trump, einem FPÖ-Kanzler Kickl und vielleicht sogar einer französischen Staatschefin Le Pen. Dazu werden Krisen, Kriege und die verlässlichen Koalitionskonflikte das wachsen lassen, wovon die AfD lebt: Wut und Angst.
Aust formulierte es am Sonntag mit Blick auf den Parteitag so: "Nachdem die Gesellschaft – wie man in den Umfragen sehen kann – auf die AfD zugeht, geht die AfD mit ihrer Professionalisierung auf die Gesellschaft zu."
Alice Weidel wäre 2029 bereit zur Macht
Bis zur Bundestagswahl 2029 sollen sich die politische Stimmungslage und die AfD derart aufeinander zubewegen, dass die selbsternannte Alternative alternativlos wirkt. Alice Weidel wäre dann 50 – und bereit zum Regieren.
Doch damit das alles funktionieren kann, muss die AfD erst einmal am 23. Februar erfolgreich sein. Alles, was unter dem jüngsten Europawahlergebnis von knapp 16 Prozent läge, würde als Niederlage gelten. Ab 18 Prozent wären wohl die meisten zufrieden.
Doch erst ein Ergebnis um die 20 Prozent, mit einem klaren Platz 2 hinter der Union, gälte als der Triumph, den Weidel braucht, um ihre Führungsposition auszubauen – und ihren Machtplan durchzusetzen.