Herr Eppler, von Ihnen stammt das Zitat "Je älter ich werde, desto mehr hört man mir zu." Ist das tatsächlich so?
Ja. Ich werde immer häufiger um Rat gefragt in den letzten Jahren. Ich bekomme drei- oder viermal so viele Einladungen, als ich tatsächlich an Veranstaltungen teilnehme. Wenn ich etwas sage, findet es ein es Echo. Das war nicht immer so.
Wenn Sie auf Ihr politisches Leben zurückblicken - was war für Sie der wichtigste Moment?
Der Höhepunkt meiner politischen Tätigkeit war sicher der Kampf um eine neue Art der Ostpolitik. Das war in der ersten Regierung unter Willy Brandt, als ich Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit war. Die Regierung war bereit, ihre politische Existenz aufs Spiel zu setzen - für eine Sache, die der Kanzler für lebensnotwendig hielt. Damals gab es eine politische Aufbruchstimmung, wie sie seitdem nicht mehr vorgekommen ist.
Weniger gut als mit Bundeskanzler Brandt sind Sie mit seinem Nachfolger Helmut Schmidt zurecht gekommen. Bereits wenige Wochen nach Schmidts Amtsantritt sind Sie von ihrem Ministeramt zurückgetreten.
Das lag daran, dass ich für meine Aufgabe keine Chance in dieser Regierung sah. Und wenn ein Kanzler und ein Minister nicht miteinander zurecht kommen, kann schließlich nicht der Kanzler gehen. Das hätte das persönliche Verhältnis aber nicht beeinträchtigen müssen. Was es gedrückt hat, war, dass Schmidt später behauptete, er hätte mich rausgeworfen. Das war nicht der Fall. Er hatte mich ja gerade erst ernannt.
Reden Sie inzwischen wieder miteinander?
Wenn wir zusammen kommen, sprechen wir auch miteinander. In Resten gibt es also schon noch ein Verhältnis. Nur: Er sitzt im Norden und ich sitze im Süden. Wir sind beide nicht dauernd unterwegs, weil wir alt sind. Zumindest polemisieren wir dadurch nicht mehr gegeneinander. Ich habe eigentlich nie gegen Schmidt polemisiert.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Wofür wird die SPD heute gebraucht?
Wir befinden uns wahrscheinlich am Auslaufen einer mächtigen marktradikalen Welle, die über die ganze Welt hinweg gegangen ist und vieles weggeschwemmt hat. Auch vieles von dem, was Sozialdemokraten wichtig war. In einer solchen Phase sozialdemokratische Politik zu machen, ist unendlich schwierig. Aber ich habe den Eindruck, dass diese Welle sich überschlagen hat und die Menschen nach Alternativen suchen. Hier entstehen neue Chancen für die Sozialdemokraten.
War Schröders Regierungspolitik nicht ein Teil dieser marktradikalen Welle? Warum haben Sie sie unterstützt?
Erstens, weil ich keine brauchbare Alternative sah. Und zweitens, weil ich die rot-grüne Koalition für das Beste hielt und auch weiterhin halte, was Deutschland momentan zu bieten hat.
Dennoch: Hätten Sie gedacht, dass Sie eines Tages mehr mit Schröder auf einer Wellenlänge liegen als mit Oskar Lafontaine?
Ich habe Oskar Lafontaine immer für einen Narzissten gehalten, der nur um die eigene Person kreist - und nicht für einen Überzeugungstäter. Die linke Partei lebt von der Vorstellung, dass man nur alles wie in den Siebziger Jahren machen muss, dann wird alles gut. Aber das ist nicht links. Es ist populistisch.
Wie ist Ihre Meinung zur Arbeit der großen Koalition?
Die Sozialdemokraten machen in der Regierung zwar keine schlechte Figur. Die Frage ist aber, wie gut die Qualität dessen ist, was die Koalition insgesamt leistet. Wenn beide Parteien jetzt schon darüber nachdenken, womit sie 2009 in den Wahlkampf starten, kann nicht viel Gutes dabei herauskommen.
Sehen Sie Ihre Partei gut aufgestellt für den nächsten Wahlkampf?
Der Parteichef Kurt Beck ist ein Politiker, der Vertrauen erweckt. Er hat Augenmaß und versteht das Geschäft des Regierens. Als Kanzler könnte ich ihn mir mindestens eben so gut vorstellen wie Angela Merkel. Frau Merkel hat zwar die Fähigkeit, das Kabinett so zu führen, dass dort in einer guten Atmosphäre gearbeitet werden kann. Ich wusste aber nie, wofür sie eigentlich steht - und ich weiß es immer noch nicht. Insgesamt denke ich, dass die CDU schwierigeren Zeiten entgegen geht als die Sozialdemokraten. Weil dort die marktradikale Strömung stärker ist - und noch viel massiver mit anderen Strömungen in Konflikt kommen wird. In vielen europäischen Ländern zerlegen sich die Christdemokraten ja in ihre Bestandteile. Ich sage ausdrücklich: Das halte ich für eine Gefahr, die ich nicht herbei wünsche. Höchstens in meiner Heimat gibt es diese Gefahr nicht. In Baden-Wüttemberg, wo ich zweimal für das Ministerpräsidenten-Amt kandidierte, ist die SPD in keiner komfortablen Lage. Vielleicht hat man uns früher mehr zugetraut. Aber eine reelle Chance, die CDU abzulösen, hatten wir nie.
Jüngst haben Sie - wie schon in der Vergangenheit - vor friedlich genutzter Kernenergie gewarnt. Welche Gefahren sehen sie?
Ich behaupte, dass eine Welt voller Atomkraftwerke ohne gleichzeitigen Atomterrorismus nicht mehr möglich ist. Das bereitet mir Sorge, weil atomarer Terrorismus noch gefährlicher ist als es früher Atomwaffen waren. Im Ost-West-Konflikt waren die Atomwaffen in der Hand von Schachspielern, die rational gedacht haben und deshalb diese Waffen am Ende nie eingesetzt haben. Aber in dem Augenblick, in dem Selbstmordattentäter in den Besitz von atomaren Sprengsätzen geraten, möchte ich auf dieser Erde nicht mehr leben.
Das hört sich resigniert an.
Die Geheimdienste aller Nationen befassen sich längst mit der Möglichkeit von atomaren Terroranschlägen. Diese Gefahr lässt sich in meinen Augen nur dann aufhalten, wenn wir nicht immer mehr, sondern weniger Atomkraftwerke bekommen.
Sind Sie insgesamt eher guter Dinge für die Zukunft oder nicht?
Es gibt heute niemanden mehr, der wie im Jahre 1900 oder 1970 ein klares Bild davon zeichnen könnte, wie Europa in dreißig, vierzig oder gar fünfzig Jahren aussieht. Was ich insgesamt wahrnehme, ist eine schleichende Ökonomisierung unseres Bewusstseins. Das kann gefährlich für die Demokratie werden. Aber neben den Risiken gibt es auch Chancen. Je mehr wir uns auf die Risiken konzentrieren, desto größer sind die Chancen.