Es ist uns nicht egal ... ... dass wir immer noch zwischen Ost und West unterscheiden

Die Wahl ist vorbei. Es gibt viel zu tun und genug Probleme, die uns wütend machen. Nach zornigen stern-Mitarbeitern und Prominenten empören sich stern-Leser. Heute: Steffen Eibicht.

In den Wochen vor der Wahl hieß es ständig, Deutschland gehe es gut, es müsse nur so weitergehen. Das Gerede über die Wohlfühl-Republik hat uns in der stern-Redaktion wütend gemacht. Deswegen haben wir die Aktion "Es ist uns nicht egal" ins Leben gerufen. Nachdem stern-Mitarbeiter und zahlreiche Prominente aufgeschrieben haben, was ihnen nicht egal ist in diesem Land, kommen jetzt Sie, liebe Leserinnen und Leser zu Wort. Was ist Ihnen nicht egal? Und warum? Schreiben Sie unserer stellvertretenden Chefredakteurin unter anita.zielina@stern.de.

Hunderte Kommentare haben uns schon erreicht, eine Auswahl werden wir täglich auf stern.de veröffentlichen.

Heute empört sich Steffen Eibicht

"Es ist mir nicht egal, dass 23 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands immer noch zwischen Ost und West unterschieden wird."

Man hört oft (vor allem dieser Tage) dass die "Mauer in den Köpfen" abgerissen werden muss. Wie wäre es denn, mal die echte Spaltung Deutschlands zu überwinden?

Es ist mir nicht egal, dass ich als gut ausgebildete Fachkraft in Ostdeutschland maximal 85 Prozent des im Westen Deutschlands üblichen Gehalts bekomme. Es ist mir nicht egal, dass dies tantramäßig mit "niedrigeren Lebenshaltungskosten" begründet wird. Denn diese niedrigeren Lebenshaltungskosten existieren erstens nicht und zweitens, wenn irgendetwas im Osten billiger ist, liegt das einfach am Markt und der niedrigeren Bereitschaft der Leute, Geld auszugeben. Wenn man keins hat, gibt man es nicht aus!

Sogenannte Wirtschaftswissenschaftler erklären das Gehaltsgefälle auch damit, dass die ostdeutsche Wirtschaft nicht so leistungsfähig wie die westdeutsche sei. Teilung? Mauer in den Köpfen? Ostdeutsche/ Westdeutsche Wirtschaft?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Gut, sie ist also nicht so leistungsfähig... warum? Vielleicht weil die Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft davon abhängt, wie gut ausgebildete Fachkräfte bezahlt werden? Könnte es sein, dass eine gut ausgebildete Fachkraft für ihre Leistung eine entsprechende Vergütung haben möchte? Haben wir hier also ein Henne-Ei-Problem?

So lange wir dieses Problem haben, ist es weiterhin so, dass, wenn ich mitsamt meiner ostdeutschen "Ineffizienz" und "verminderten Leistungsfähigkeit" in die westdeutschen Bundesländer ziehe, ich auf einmal wie durch ein Wunder extrem an Leistungsfähigkeit zulege und viel effizienter werde. So sehr, dass mir auf einmal auf geradezu magische Weise mindestens 15 Prozent mehr Geld zusteht? Es ist mir nicht egal, dass niemand diesen tatsächlich gelebten Schwachsinn sehen will.

Ich habe es trotzdem getan. Ich habe mich dem Willen und dem Diktat der deutschen Wirtschaft gebeugt und "Flexibilität" gezeigt, indem ich gependelt bin. Sieben Jahre lang. Ich möchte das nicht mehr. Ich möchte nicht im Dienst einer Wirtschaft, von der ich nichts habe, mein halbes Leben auf der Autobahn zubringen.

Also arbeite ich wieder im Osten. Und schlage mich mit der zweiten bis vierten Garnitur an "Fachkräften" herum, die noch übrig sind, nachdem die guten Fachkräfte Ostdeutschland verlassen haben. Ja, die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft hängt von der Bezahlung der Fachkräfte ab.

Andererseits wird bei der Verteilung von Fördergeldern gefordert, dass nicht mehr nach Himmelsrichtung entschieden wird. Ganz meine Meinung. Warum soll man nach Himmelsrichtung werten?

Es ist mir also nicht egal, dass dieses Land aus zwei Staaten besteht. Dass beide zwar die gleiche Nationalhymne haben, beide die gleichen Gesetze, beide die gleiche Währung... aber sonst ist alles anders. Es ist mir einfach nicht egal!

Mit freundlichen Grüßen

Steffen Eibicht

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