Jahrelang wurde überlegt, konzipiert, gerungen, verworfen und wieder von vorne angefangen. Schließlich ging es um die größte Verfassungsreform seit Bestehen der Republik, da war der beste Kompromiss gerade gut genug. Und noch am Anfang dieser Woche deutete viel darauf hin, dass die endgültige Verabschiedung der Föderalismusreform nur eine Formalie sei.
Jetzt aber, fünf Tage später, nach der ersten Lesung über die "Mutter aller Reformen" (Edmund Stoiber) in Bundestag und Bundesrat, deutet alles darauf hin, dass das Paket wieder aufgeschnürt werden muss - genau das, was die Parteioberen der großen Koalition tunlichst vermeiden wollten.
Kein geringerer als SPD-Fraktionschef Peter Struck machte am Freitag klar, dass er Änderungen bei der Föderalismusreform durchaus noch für möglich halte und fragte in die Abgeordnetenrunde: "Wofür ist ein Verfahren im Parlament denn da?" Und auch sein CDU-Kollege Volker Kauder sagte: "Natürlich sind Änderungen an dem vorliegenden Entwurf denkbar". Diese aber, so seine Warnung, dürfe nicht dazu führen, das Gesamtpaket noch grundsätzlich zu verändern.
Fragen und Antworten
Was bringt die Reduzierung der Ländermacht im Bundesrat?
Die Befürworter der Reform erhoffen sich dadurch die schnellere Verabschiedung von Gesetzen. Bundestag und Bundesrat müssen in weniger Fragen als bisher übereinstimmen. Das ist dann von Bedeutung, wenn sich zwei große Blöcke in Bundestag und Bundesrat gegenüber stehen.
Für den Bürger könnte dies den Vorteil haben, dass der Staat rascher auf Probleme reagieren kann und Schwierigkeiten nicht auf die lange Bank geschoben werden. Parteipolitisch motivierten Blockaden soll ein Riegel vorgeschoben werden. Allerdings ist die Reduzierung der Zahl von zustimmungsbedürftigen Gesetzen nur eine Schätzung. In der Praxis wird sich zeigen, ob die Vermutung tatsächlich eintrifft.
Werden die Beteiligungsrechte der Bürger gestärkt?
Nein. Die Ausweitung von plebiszitären Elementen wurde ausgeklammert - auch weil die Union immer dagegen war. Allerdings erhoffen sich die Reformmütter und -väter, dass durch die Entzerrung der Gesetzgebung für den Bürger deutlicher wird, ob der Bund oder die Länder für die Regelung einer Sachfrage verantwortlich sind. Insgesamt werden die Landtage mehr zu sagen haben. Von Land zu Land kann es zum Beispiel unterschiedliche Ladenöffnungszeiten geben. Die Stimmen der Bürger bei Landtagswahlen haben so mehr Gewicht für die Landespolitik.
Was ändert sich in den Schulen?
Zunächst nichts, denn die Verantwortung für die Schulen lag immer schon bei den Ländern. Der Bund darf allerdings keine Sonderprogramme mehr auflegen, wie etwa die 4-Milliarden-Euro-Initiative zum Ausbau der Ganztagsschulen oder die erfolgreichen bundesweiten Modellversuche zur Verbesserung des Mathematik-Unterrichts. Dies hatten die Länder allerdings schon immer als verfassungsrechtlich zweifelhafte Einmischung in ihre Kompetenzen angesehen.
Wie wirkt sich die Reform an den Hochschulen aus?
Für die Zulassung zum Studium kann künftig jedes Land eigene Regelungen treffen und vom Bundesrecht abweichen. Das heißt: Die Bewerbungs- und Zulassungsbedingungen für einen Studienplatz können in Bayern völlig anders sein als in Berlin oder in Hamburg. Und auch bei Hochschulabschlüssen können die Länder von den Bundesvorgaben abweichen. Die Bundesmittel für die Hochschulen bleiben weitgehend erhalten, ein Teil fließt aber in Forschungsvorhaben.
Wie sind die 1,2 Millionen Landesbeamten betroffen?
Sie werden die Föderalismusreform am deutlichsten zu spüren bekommen. Denn in Zukunft werden sie von Land zu Land unterschiedlich besoldet werden können - ähnlich wie die Angestellten im öffentlichen Dienst von Ländern und Kommunen. Das gibt den Ländern Spielraum für Einsparungen, könnte aber durchaus dazu führen, dass sich die "guten" Beamten dorthin orientieren, wo am meisten gezahlt wird.
Damit geben führende Regierungspolitiker erstmals dem Druck gegen das Reformwerk nach, der auch aus den eigenen Parteien kommt. Vor allem die SPD-Linken und die so genannten Netzwerker kritisieren das "Jahrhundertwerk" in der aktuellen Form. Ihre Stimmen sind für die Verabschiedung nötig, weil für die Grundgesetzänderungen eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit nötig ist.
Der SPD stößt bei dem mühsam errungenen Kompromiss vor allem sauer auf, dass sich der Bund weitestgehend aus der Bildungspolitik zurückziehen und diese den Ländern allein überlassen soll. Durch den Rückzug des Bundes aus der Bildungspolitik drohe eine weitere Zersplitterung des Schulwesens durch Kleinstaaterei der Länder, so die Kritik. Peter Struck bemängelt etwa, dass es dem Bund künftig verboten sei, mit Finanzhilfen bei der Bildung eigene Akzente zu setzen, wie etwa bei der Förderung von Ganztagsschulen.
Durch die Reform sollen die Länder Mitspracherechte bei Bundesgesetzen durch den Bundesrat verlieren und im Gegenzug bei einigen Politikfeldern wie eben Bildung und Umwelt die alleinige Kompetenz erhalten.
Große Teile der Union weigern sich, wieder von vorn anfangen zu müssen: "Wer anfängt das Paket wieder aufzuschnüren, der riskiert, dass dann auch andere mit anderen Wünschen kommen und die gesamten Mehrheiten von zwei Drittel in Bundestag und Bundesrat unsicherer werden", sagte Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff und verweist auf den Koalitionsvertrag beider Parteien. Man könne einmal vereinbarte Dinge nicht ständig neu in Frage stellen.

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Auf Länderebene war man sich eigentlich schon darüber einig, dass die Föderalismusreform so und nicht anders beschlossen werden sollte. Doch mit dem Rückenwind der SPD-Kritiker wagen nun auch einige Ministerpräsidenten, aus dem Konsenskurs auszuscheren.
Harald Ringstorff, Landeschef Mecklenburg-Vorpommerns unterstützt zwar die Reform, sagt aber auch: "Der vorliegende Entwurf kann nicht das letzte Wort sein." Er kritisierte vor allem die geplante Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau und die Übertragung der Zuständigkeit für Beamtenbesoldung und Strafvollzug auf die Länder. "Wir wollen eine Reform, die den gegenwärtigen Zustand verbessert und nicht verschlechtert", so der SPD-Politiker.
Für Schleswig-Holstein sagte der sozialdemokratische Innenminister Ralf Stegner: "Ein Paket darf man nicht aufschnüren - aber wir sind nicht bei der Paketpost." Trotz der trotz der Grundsatzeinigung der Ministerpräsidenten vom vergangenen Montag könne es nicht darum gehen, die Reform durchzuwinken.
Bayern und Niedersachsen machten sich dagegen für die aktuelle Version des Reformvorschlags stark: Edmund Stoiber, Bayerns Ministerpräsident sprach von einem historischen Tag für Deutschland und davon, dass "das Gesamtpaket ein großer Wurf für unser Land ist."
Unterstützung bekommt er aus dem sozialdemokratisch regierten Rheinland-Pfalz. Dessen Ministerpräsident Kurt Beck sagte: "Wegen ein paar kindischer Verärgerungen darf man eine solche Jahrhundertreform nicht scheitern lassen".
Bleibt noch die FDP: Weil die nötige Zweidrittelmehrheit in der Länderkammer ohne die Liberalen nicht zu erreichen ist, haben auch sie gleich noch ein paar Änderungswünsche vorgetragen: die bisher ausgeklammerte Reform der Bund-Länder-Finanzen. "Nur wenn Verfahren, Zeitplan und Ziel der Finanzreform klar seien, würden die Liberalen auch der Staatsreform zustimmen, kündigt der FDP-Politiker und niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche an.