Attacke in Mannheim "Die Hemmschwelle ist gesunken, auf Polizisten mit Messern loszugehen"

Tatort in Mannheim: Hier kam es zur Messerattacke auf einen Polizisten
Blumen am Tatort in Mannheim: Hier wurde ein Polizist bei einem Messerangriff am Freitag so schwer verletzt, dass er am Sonntag an den Folgen starb.
© Herrmann Agenturfotografie / Imago Images
Christian Habrecht ist Polizist und Landesjugendleiter der Polizeigewerkschaft in Hessen. Im stern beschreibt er, warum für viele Kolleginnen und Kollegen heute der Beruf gefährlicher geworden ist.

Herr Habrecht, was haben Sie gedacht, als Sie die Nachricht vom Tod des jungen Kollegen in Mannheim gehört haben?
Ich war traurig, betroffen und wütend. Am meisten schockiert hat mich, auf dem Video von der Tat zu sehen, mit welcher Gewalt der Täter vorging. Sein Kollege drehte ihm den Rücken zu, versuchte, einen Menschen aus dem Gefahrenbereich zu ziehen. Der Täter hat ihm heimtückisch von hinten in den Kopf gestochen. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich die Bilder sehe.

Der Vorgang führt vor Augen, mit welchem Berufsrisiko Polizisten leben. Wie nahe geht sowas persönlich?
Das geht schon sehr nahe. Man denkt sofort, wie man sich selbst verhalten hätte. Man denkt an die eigene Partnerin und an die Familie des getöteten Kollegen. Und man denkt an die Kollegen, die das alles mitansehen mussten.

Der Polizist Christian Habrecht
Christian Habrecht, 27, arbeitete nach dem Studium erst als Streifenpolizist, jetzt ist er bei der Kriminalpolizei
© privat

Kaum war das Video veröffentlicht, gab es schon erste Stimmen: Der Polizist habe sich falsch verhalten, hieß es – weil er offenbar zunächst einen anderen Beteiligten niederrang, den er irrtümlich für den Täter hielt.
Ich halte die Kritik für abwegig. Die Ausgangslage war ein Infostand von Islamkritikern in der Mannheimer Innenstadt. Da kann man nicht damit rechnen, dass ein Mann mit einem Messer plötzlich anfängt, Menschen niederzustechen. Die Lage war unübersichtlich, es gab mehrere Verletzte, der Kollege hat das getan, was er für richtig hielt. Ich kann keinen Fehler seinerseits erkennen.

Werden Sie in Ihrer Ausbildung genügend vorbereitet für solche Situationen?
Ein vollausgebildeter Polizeibeamter ist auf solche Situationen vorbereitet. Wir haben viel Einsatzlehre auf unseren Stundenplänen. Aber einen 100-prozentigen Schutz gibt es nicht. Mein Ausbilder hat immer gesagt: "Ein Messer ist bei kurzer Distanz immer tödlich. Seht zu, dass ihr Distanz herstellt." Die Hemmschwelle ist gesunken, auf Polizisten mit Messern loszugehen.

Inzwischen gibt es relativ häufig Videos von Polizeieinsätzen in den sozialen Netzwerken, die polarisieren. Erschwert das Ihre Arbeit?
Ja, das ist ein grundsätzliches Problem. Von polizeilichen Maßnahmen werden Videos gemacht, die sich rasend schnell verbreiten. Oft sind sie so manipuliert, dass sie nur einen ganz kleinen Ausschnitt zeigen, mit dem versucht wird, die Polizei in ein schlechtes Licht zu rücken. Da sieht man dann etwa, wie Polizisten einen Mann mit dunkler Haut festnehmen – und plötzlich sind alle Rassisten. Die Vorgeschichte, etwa, dass dieser Mann zuvor die Polizei angegriffen hat, sieht man nicht. Im Fall von Mannheim war wenigstens der ganze Vorgang zu sehen. Sonst hätte es am Ende bestimmt wieder geheißen, dass der Schuss, mit dem die Kollegen den Täter stoppten, nicht angemessen war. Und dann gehen die Fragen los.

Und nicht nur die Fragen, sondern auch die Kommentare….
Das ist ein zweites Problem. Durch die sozialen Netzwerke fühlt sich inzwischen jeder zum Experten für Einsatztraining berufen. Die haben bloß keine Ahnung. In einer solchen Situation hat man einen Tunnelblick, ist voll unter Adrenalin. Das ist was völlig anderes, als vom Sofa aus einen Einsatz zu analysieren.

Umgekehrt gibt es Fälle von grenzüberschreitender Polizeigewalt und Rassismus, die ohne Videos und ohne soziale Netzwerke nie in die Öffentlichkeit dringen würden.
Ja, die gibt es, aber das ist eine ganz kleine Minderheit. Und natürlich muss dem nachgegangen werden, solche Kollegen haben in unseren Reihen nichts verloren. Aber bei den meisten Videos wird nicht auf Missstände aufmerksam gemacht, sondern eher versucht, durch Verkürzung ein negatives Bild von unserer Arbeit zu zeichnen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"In jeder Uniform steckt ein Mensch, der verletzbar ist

Sie sind nicht nur Polizist, sondern auch Sohn eines Polizisten. Hat sich der Umgang der Gesellschaft mit Polizisten geändert?
Davon bin ich überzeugt. Es gibt eine wachsende Unterstellung, wir seien Rassisten. Vielleicht liegt es auch daran, dass früher Polizisten ohne Schutzwesten rausgeschickt wurden und viel mehr mit den Bürgern sprechen und Konflikte verbal lösen konnten. Heute sind Polizisten einerseits besser durch ihre Ausstattung wie Schutzwesten mit Schnittschutz am Hals und Stichschutzplatten geschützt. Anderseits erleben wir immer häufiger, dass Jugendliche Messer, Schlagringe und Abwehrsprays dabei haben und das Risiko für uns wächst, dass wir damit angegriffen werden. Ein anderes Phänomen ist die Gruppenbildung. Man wird zu einem Einsatz gerufen und plötzlich ist man von allen Seiten umringt von Menschen, die kommentieren, filmen, drohen. Das macht die Arbeit nicht leichter.

Was würde Sie sich für Ihre Arbeit wünschen – gesellschaftlich und politisch?
Mein Appell: Bevor man sich mit Ideen und Kommentaren hervortut, einfach mal den Mund halten. In jeder Uniform steckt ein Mensch, der durch Angriffe und Beleidigungen verletzbar ist. Das sollte man sich immer vor Augen führen, wenn man über Polizisten spricht. 

Brauchen Polizisten mehr Rückhalt aus der Politik?
Die Politik sollte uns den Rücken stärken, denn Polizeibeamte sind Exekutivorgane, die das umsetzen, was die Legislative beschließt. Und von der Justiz wünsche ich mir ein deutliches Signal gegen Polizeigewalt. Manchmal ist man da echt ernüchtert. Ich bin kein Richter, aber im Fall von Mannheim erscheint uns klar: Der Täter hat in Tötungsabsicht auf meinen Kollegen eingestochen. Das war keine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge. Ich hoffe, er bekommt eine lebenslange Freiheitsstrafe mit Sicherungsverwahrung.