Kommentar Die Große Chaos-Koalition

  • von Hans Peter Schütz
Staatsmännisch, glanzvoll, effektiv: So präsentierte sich die Große Koalition beim Management der Finanzkrise. Ein paar Wochen später versinkt sie wieder im Chaos. Zank um die Erbschaftsteuer, Zank um die Kfz-Steuer, Zank um die Bundeswehr. Der Konjunktur hilft dieser Irrsinn nicht.

Kaum zu glauben, aber wahr: Erst vor wenigen Tagen reagierte die Bundesregierung schnell, zielgerichtet und effektiv auf die globale Finanzkrise. Inzwischen besitzt dieselbe Regierung samt der sie tragenden Parteien ein ganz anderes sie charakterisierende Kennzeichen: planlose Hektik. Die Große-Chaos-Koalition operiert nach der Methode "Erst beschließen, dann nachdenken." Und das soll akzeptable Politik in schwieriger Zeit sein?

Was gestern ihr Beschluss war, nennt diese Koalition heute falsch. Man nehme die Erbschaftssteuer. Dieselben CDU/CSU-Politiker, die soeben einen mit der SPD mühsam in drei Jahren ausgehandelten Kompromiss als großen politischen Erfolg gefeiert haben, nennen ihn wenige Tage später ein "Provisorium", das entweder gar nicht beschlossen, spätestens aber nach der nächsten Bundestagswahl unverzüglich wieder geändert werden soll.

Das große Gewurstel

Man nehme die Kfz-Steuerreform. Schneller als Otto Normalverbraucher sich über die Beschlusslage beim Kauf eines neuen Autos informieren kann, ändert sich diese Beschlusslage. Vor wenigen Tagen waren alle Neuwagen für ein oder zwei Jahre von der Kfz-Steuer befreit, auch die umweltfeindlichen Spritfresser. Jetzt muss innerhalb der nächsten sechs Monate kaufen, wer Steuern sparen will. Und irgendwo ist auch noch von einer "Verschrottungsprämie" die Rede. Nix genaues weiß man nicht. Man nehme den Streit um den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Im Kabinett stimmen die SPD-Minister einem Kompromiss zu, den weder ihre Partei noch die Bundestagsfraktion akzeptieren. Haben denn SPD-Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier oder SPD-Justizministerin Brigitte Zypries keine Ahnung, was ihre Genossen politisch akzeptieren?

Die allenthalben zu besichtigende Politik mit äußerst beschränkter Haltbarkeit lässt Schlimmes befürchten: Dass das Gewurstel bis zur Bundestagswahl 2009 so weitergeht. Landtagswahlen, Europawahl, Bundespräsidentenwahl laufen noch zuvor und werden das klein karierte Profilierungsdenken verstärken. Hinzu kommen skurrile Ratschläge wie der des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger, der kritische Diskussion der politischen Themen am liebsten verbieten möchte, weil sie seiner Meinung nach die Rezessionsgefahr noch verschärften. Soll sich also keiner mehr an die Stirn tippen dürfen, wenn zum Beispiel der Autobauer Opel ein 40-Milliarden-Euro-Paket zwecks Absatzhilfe fordert?

Sehnsucht nach der rot-grünen Koalition

Man bekommt Sehnsucht nach der Zeit, in denen einst die rot-grüne Koalition ihr Reformprogramm der Agenda 2010 diskutiert hat. Damals kamen aus dem Kabinett Beschlüsse, die zuweilen schmerzhaft waren, aber wirkungsvoll. Was die Große Koalition dagegen plant, um nachhaltig Arbeitsplätze zu sichern und die Konjunktur zu stabilisieren, bleibt schleierhaft. Oder um es mit den Worten der fünf Wirtschaftsweisen zu sagen, die jetzt ihre Ratschläge vorgelegt haben: Mit einem täglich wechselnden Sammelsurium von Einzelaktionen lässt sich nichts erreichen.

Noch einmal sollte die Regierung stattdessen darüber nachdenken, ob sie nicht doch eine Steuerreform alsbald auf den Weg bringt, die die kalte Progression mindert. Kämen die Bürger über eine Einkommensteuerreform zu monatlich 150 Euro mehr, wäre damit erheblich mehr Konjunkturankurbelung bewirkt, als durch eine einmalige Gratis-Tankfüllung ihrer neuen Autos. Die Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags könnten schließlich binnen kurzer Zeit umgesetzt werden.