Erhard Eppler besitzt den Ruf eines sozialdemokratischen Chefdenkers. Und er hat die SPD in der Tat an die Lösung vieler komplizierter politischer Fragen herangeführt. Dennoch muss er sich nun die Frage gefallen lassen, ob das wirklich seine eigenen Gedanken sind, mit denen er sich jetzt in die Kernenergie-Debatte eingemischt hat. Die Laufzeit der laufenden Atomkraftwerke (AKW) will er verlängern, doch soll ein Neubauverbot im Grundgesetz verankert werden. Als ob hierzulande überhaupt an neue AKWs gedacht würde. Der Eppler-Vorstoß hat einen überaus faden Geschmack: Leicht möglich, dass ihm das von der derzeitigen SPD-Führung nahe gelegt worden ist. Denn die sucht verzweifelt nach einem wahltaktischen Fluchtweg, um dem Druck zu entkommen, den die Unionsparteien praktisch über Nacht mit neuen Lippenbekenntnissen zur Kernkraft aufgebaut haben.
Wer soll bei längeren Laufzeiten was bezahlen?
Die Diskussion um die künftige Energieversorgung hat sich in der jüngsten Vergangenheit dramatisch zugespitzt. Spritpreise von zwei Euro für den Liter werden prophezeit, die Heizungskosten steigen mit den Öl- und Gaspreisen, die Welt hungert allenthalben, weil zu viel Land für die Produktion von Biosprit benutzt wird anstatt für die Produktion von Nahrungsmitteln. Die Klimaschutz-Diskussion ist eng mit der Energiegewinnungs-Situation verknüpft. Aus fast allen Industriestaaten ertönt daher der Ruf nach dem Bau neuer Kernkraftwerke.
Doch wer sich den Eppler-Vorschlag vor dieser Kulisse schwieriger Fragen näher betrachtet, sollte sich zusätzliche Fragen stellen. Wer die Laufzeiten bestehender AKWs verlängern will, müsste auch klar sagen, unter welchen finanziellen Bedingungen das laufen soll. Eine Million Euro pro Tag fließt aus älteren Anlagen in die Kasse der Energiekonzerne. Soll das so bleiben, obwohl die deutschen Steuerzahler im Lauf der Jahre rund 100 Milliarden Euro zur Entwicklung der Kernenergie beigesteuert haben? Müsste jetzt nicht ein guter Teil der heutigen Gewinne in den Staatshaushalt zurückfließen, um dort für die Entwicklung alternativer Energien eingesetzt zu werden?
Noch immer hat die Bundesrepublik die entscheidende eigene Aufgabe nicht gelöst: Es gibt keine deutschen Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Rund 2000 Tonnen hoch radioaktives Plutonium befinden sich inzwischen auf unserer Welt. Wer sichert es eigentlich vor dem möglichen Zugriff so genannter Schurkenstaaten? Und die Politik müsste den erbosten Verbrauchern in diesem Zusammenhang auch einmal gestehen, dass die Bundesrepublik noch immer im großen Umfang Strom exportiert.
Mit dem oberflächlichen Schwadronieren muss Schluss sein
Wenn schon über längere Laufzeiten geredet wird, darf das nicht im Stil oberflächlichen Schwadronierens geschehen. Dann muss die Debatte zwischengelagert werden: Bei dem Thema Klimaschutz und der überaus zögerlichen Energie, mit der die Bundesregierung das Spritschlucker-Paradies Deutschland attackiert und die Steuervorteile großvolumiger Dienstwagen verteidigt. Noch immer fristet die Förderung der Energiegewinnung aus Wind, Wasser und Sonne eine eher nebensächliche Existenz. Aus dem Forschungsetat fließen nur Summen auf das Feld erneuerbarer Energien, die lächerlich sind. Nichts ist bislang davon zu hören, dass die Kernkraftbetreiber etwa die Hälfte zusätzlicher Gewinne in diesen Bereich abführen sollten.
Wähler sollten sich im beginnenden Bundestagswahlkampf nicht auf Epplers Glatteis führen lassen. Mehr Kernkraftstrom wird ihre Energiekosten nicht mindern, ebenso wenig den Benzinpreis drücken. Was allein damit gemehrt würde, ist die Rendite der Stromriesen und das Risiko der Bürger.