Mehr als 15 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr Geld an Kirchen und gemeinnützige Einrichtungen gespendet, insgesamt über 3,3 Milliarden Euro. Es ist das zweitbeste Ergebnis seit 2005 – und das in einem Jahr, in dem viele Menschen durch Corona arbeitslos wurden oder in Kurzarbeit gingen. Auch sonst tun wir gerade sehr viel für das Miteinander: Eine überwältigende Mehrheit von Menschen schränkt das eigene Leben radikal ein, um das Gesundheitssystem zu entlasten und besonders Gefährdete zu schützen.
Masse an Stiftungen, Sport- und Fördervereinen zeigt Wohlstand

Vor Corona zeigte sich große Solidarität zuletzt 2015: Mit dem Zustrom vieler Geflüchteter etablierten sich unzählige neue Hilfs- und Integrationsprojekte. Deutschland verfügt inzwischen über einen Schatz von mehr als 600.000 Organisationen der Zivilgesellschaft.
Etwa 133.000 davon sind Sportvereine, mehr als 130.000 Fördervereine. Und die mehr als 23.200 Stiftungen bürgerlichen Rechts sind nicht nur ein Indiz für gesellschaftliches Verantwortungsgefühl, sondern auch für gewaltigen Wohlstand.
Ehrenamtliche Helfer: Stütze der Gesellschaft
Das Miteinander in Deutschland funktioniert auch dank der mehr als 17 Millionen ehrenamtlichen Helfer. Ohne sie gäbe es keine freiwillige Feuerwehr, keine Tafeln für kostenloses Essen. "Das Engagement ist sogar noch größer, als es die Statistiken zeigen“, sagt Soziologin Sabine Fromm, Professorin an der Technischen Hochschule Nürnberg.
Am 29.1. um 20.15 Uhr sendet RTL die große Liveshow "Zeugnis für Deutschland"
RTL fragt Prominente und Zuschauer: Wie gut ist Deutschland? Moderatorin Barbara Schöneberger empfängt Günther Jauch, Jan Hofer, Oliver Pocher, Thomas Hermanns, Ilka Bessin und Malaika Mihambo, die jeweils gute und schlechte Nachrichten zu verschiedenen Themen präsentieren. Das Panel diskutiert, tauscht Erfahrungen aus und vergibt am Ende Noten – in den auch vom stern bewerteten "Fächern" sowie zu Umwelt, Urlaub, der Nationalmannschaft und dem Selbstbild der Deutschen. Die Zuschauer können über RTL.de mit abstimmen.
"So fließt der komplette Bereich der privat erbrachten Nachbarschaftshilfe nicht in offizielle Zahlen ein.“ Nach Fromms Daten halfen zuletzt etwa 70 Prozent der Deutschen im direkten Wohnumfeld.
"Der gemeinsame Einsatz für gemeinsame Ziele läuft in Deutschland sehr gut“, bekräftigt Holger Krimmer, Geschäftsführer des Think Tanks ZiviZ im Stifterverband. Das belege das Vereinswachstum in den vergangenen Dekaden.
63% sagen: Egoismus ist eins der größten gesellschaftlichen Problem
Andere Hindernisse für ein gutes Miteinander sehen die von Forsa Befragten etwa in der wachsenden Verbreitung rechtsextremer Ansichten (Platz 2 von 11 im Problem- Ranking mit 44 Prozent) und in den zunehmenden Falschinformationen in sozialen Medien (Platz 3 mit 40 Prozent)
Fragmentierung der Gesellschaft

Er beobachtet aber zugleich eine zunehmende Fragmentierung der Zivilgesellschaft: Während die traditionsreichen großen Körperschaften wie Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände tendenziell eher Mitglieder verlören, entstünden vor allem im urbanen Raum immer mehr kleine Organisationen, die weniger mit-, sondern vielmehr nebeneinander arbeiteten.

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Auch sei die Mitgliederstruktur der meisten Vereine sehr homogen: Weniger als zehn Prozent der Organisationen gelänge es, mehr Menschen mit Migrationshintergrund für ihre Arbeit zu gewinnen. Man bleibe unter sich.
Die Bertelsmann Stiftung hält den gesellschaftlichen Zusammenhalt nach Befragungen für stabil. Er habe sich innerhalb des vergangenen Jahres in der Wahrnehmung der Menschen sogar noch leicht verbessert. Von einem Auseinanderbrechen der Gesellschaft könne, so die Forscher, im Vergleich zur letzten Untersuchung 2017 keine Rede sein.
Bedenkliche Entwicklung: Egoismus großes Problem
Aktuelle Daten aus der zweiten Welle der Pandemie zeichnen jedoch eine bedenkliche Entwicklung: Nach den Zahlen, die Forsa für den stern und RTL erhoben hat, betrachten 63 Prozent der Menschen derzeit Egoismus als eines der größten Probleme im gesellschaftlichen Miteinander.
Und nach Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung sorgten sich zuletzt 90 Prozent der befragten Erwerbstätigen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Auch die Bertelsmann-Studie zeigt Defizite auf: Zahlreichen Gruppen erscheint der gesellschaftliche Zusammenhalt schwächer als ihren Mitbürgern: Alleinlebenden und Alleinerziehenden etwa, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit geringem Einkommen, Menschen mit körperlichen Behinderungen oder Erkrankungen und nicht zuletzt Menschen mit niedrigem Bildungsniveau.
Soziale Ungleichheit nagt am gesellschaftlichen Miteinander

Bedeutet: Das gesellschaftliche Miteinander funktioniert in der Mitte der Gesellschaft recht gut – aber damit eben vor allem in einem bestimmten Milieu. Am Zusammenhalt der Gesamtgesellschaft nagt vor allem eins: die soziale Ungleichheit.
Knapp 16 Prozent der Deutschen sind von Armut bedroht, in Bremen sind es sogar etwa 25 Prozent. In den untersten Einkommensgruppen hat die Aufstiegsmobilität, also die Möglichkeit, der Armut durch eigene Anstrengung zu entkommen, stark abgenommen.
Gleichzeitig halten laut dem Global Wealth Databook zehn Prozent der Deutschen etwa 65 Prozent des gesamten Nettohaushaltsvermögens. Ungleichheit auch zwischen den Geschlechtern: Der Bruttoverdienst von Frauen war 2019 durchschnittlich um 19 Prozent geringer als der von Männern. 2,2 Millionen alleinerziehenden Müttern standen zuletzt 407000 alleinerziehende Väter gegenüber.
Die soziale Frage
"Für ein echtes Miteinander bräuchten wir eine andere Vermögensverteilung in Deutschland“, sagt Sabine Stövesand, Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. In ärmeren Vierteln sei zudem die Wahlbeteiligung und die politische Teilhabe der Menschen tendenziell geringer, bestimmte Milieus würden inzwischen faktisch politisch nicht mehr repräsentiert.
"Die soziale Frage ist ungeheuer dringlich. Soziale Ungleichheit vergiftet die Gesellschaft. Sie erzeugt einen großen Schmerz bei denen, die abgehängt sind. Und der Schmerz verwandelt sich häufig in Wut oder Ressentiments.“
Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, sieht das ähnlich: "Die immer größer werdende Spreizung von Arm und Reich ist langfristig die größte Gefährdung unseres Gemeinwohls. Geld ist in der Marktgesellschaft der Generalschlüssel zur Teilhabe.“
Fehlende Chancengleichheit: Corona-Krise verschärft die Situation
Die Corona-Krise verschärft das Ungleichgewicht. Branchen, die besonders unter dem Shutdown leiden, wie etwa Einzelhandel oder Gastronomie, beschäftigen viele Geringverdiener. Minijobber haben nicht mal Anspruch auf Kurzarbeitergeld.
Auch fehlende Chancengleichheit beim Thema Bildung bleibt ein Problem, das in der Krise größer wird: Untersuchungen der Universität Mannheim zeigen, dass Angestellte umso seltener ins Homeoffice wechseln können, je niedriger der Schulabschluss ist.
Und diese Benachteiligung droht sich fortzusetzen: Wo der bewährte Schulunterricht wegen Corona nicht mehr stattfindet, sind Kinder und Jugendliche im Homeschooling auf die Unterstützung der eigenen Eltern angewiesen. Wer aus einer sozial schwachen oder weniger gebildeten Familie kommt, droht vollends den Anschluss zu verlieren.
Der Ausstausch fehlt: Ein Nebeneinander von Meinungsblasen
Die Corona-Krise hat massiven Einfluss auf das Miteinander. Sie führt nicht nur zu Austritten und damit Einnahmeverlusten bei Vereinen. Nicht nur zu einem nachlassenden ehrenamtlichen Engagement. Sie verstärkt nicht nur soziale Ungleichheit. Sondern sie führt auch zu einer Segregation unserer Lebenswelt.
"Immer mehr Menschen bleiben unter ihresgleichen“, sagt die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Wo immer weniger Durchmischung stattfinde, bleibe der übergreifende Dialog über die Herausforderungen unserer Zeit auf der Strecke.
Echter Zusammenhalt entstünde nur durch die Begegnung von Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, aus unterschiedlichen politischen Lagern und mit unterschiedlichen Herkunftsbiografien. Nur durch Diskussion, Dissens und Differenz und das Ringen um Positionen könnten Verständnis und Toleranz wachsen.
Versichern wir uns hingegen immer nur unter unseresgleichen der Richtigkeit der eigenen Weltanschauung, entsteht kein gesellschaftlicher Zusammenhalt, sondern höchstens ein Nebeneinander von Meinungsblasen.
Diese werden in der Corona-Krise zunehmend gefährlich, weil sie zu Polarisierung und Radikalisierung beitragen. Davon zeugen Hasskampagnen und Angriffe auf Andersdenkende. Trumps Amerika hat vorgemacht, was es dazu braucht: Twitter, Youtube, Facebook. Der Angriff auf das Kapitol in Washington mag uns eine Warnung sein.