Otto Graf Lambsdorff Nach ihm kamen nur Bangemänner

  • von Hans Peter Schütz
Auf Sendung sein, Themen besetzen, zackzack: Otto Graf Lambsdorff ist nach wie vor auf liberaler Mission. Im Dezember wurde er 80, heute feiert das politische Berlin seinen Geburtstag nach. stern.de gratuliert einem Mann, der klugerweise nie seine Memoiren geschrieben hat.

80 Jahre und noch immer knorrig. Wenn Otto Graf Lambsdorff nach dem Pflicht-Schnitzel in der gehobenen Berliner Polit-Kantine "Borchardt" dem Ausgang zustrebt, rammt er den Gehstock mit dem Silberknauf wuchtig auf den Boden, strebt in energischer Eile dem Ausgang zu, als zöge er in die nächste Schlacht für die Marktwirtschaft, die freie wohlgemerkt. Die Gräfin, ein gutes Stück jünger, mag dann kaum zu folgen. Und man könnte wetten, dass er an diesem Tag wie immer notorisch früh aufgestanden, an einer seiner zahlreichen Zeitungskolumnen gedrechselt hat, die er immer noch schreibt, vielleicht hat er auch schon das eine oder andere Interview für frühe Rundfunksendungen produziert. So hat er eben politisch immer gedacht: Nur der frühe Vogel fängt den Wurm. Immer auf Sendung sein, Themen besetzen. Immer zackzack. Härte und Selbstdisziplin bestimmten sein Leben.

Am liebsten Rock'n Roll

80 Jahre und kein bisschen milder - das ist Otto Friedrich Wilhelm von der Wenige Graf Lambsdorff bis heute. Geboren worden ist er am 20. Dezember 1926 als Sohn eines Versicherungskaufmanns. Geburtstagsökonomisch ein ungünstiger Termin, womit er sein Leben lang gehadert hat und weshalb die offizielle Geburtstagsfeier erst jetzt stattfindet, um den Mann der FDP zu feiern, der mehr ist als einer ihrer Ehrenvorsitzenden - ihr Markenzeichen. Der Mann aus westfälisch-baltischem Adel ist ein streitbarer Geist preußischen Zuschnitts. Immer direkt, stets frontal. Hinter seinem Schreibtisch hing stets ein Bismark-Porträt. Erzogen standesgemäß an der Ritterakademie Brandenburg/ Havel, danach in den Krieg, wurde schwer verwundet und verlor das linke Bein. Das Tanzen hat er deswegen nie aufgegeben, Rock'n Roll liebte er am meisten.

Urknall im Parteiblättchen

Nach dem Kriege brachte er es beim Privatbankier Trinkaus zum Generalbevollmächtigten. Mit 35 kam er zur FDP, 1972 in deren Bundesvorstand und für die Liberalen in den Bundestag. Der "Marktgraf" war da, wie er sogleich in allen seinen Reden im Parlament wissen ließ: Raus mit dem Staat aus der Wirtschaft, weniger Gängelung durch Bürokratie, mehr Privatisierung, gegen Überforderung des Sozialstaats. Bei diesem Mann sahen die damals mit der FDP verbündeten Genossen regelmäßig rot, Kanzler Helmut Schmidt inklusive. Von 1977 bis 1984 war er Bundeswirtschaftsminister; nach ihm kam keiner mehr mit seinem Format. Nur Hausmänner und Bangemänner, wie viele in der FDP bis heute klagen.

Lambsdorffs politische Stunde schlug 1982, als er das Wendepapier veröffentlichte, an dem die sozialliberale Regierung zerbrach und Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 an die Macht brachte. Nicht Hans-Dietrich Genscher, der ewig Zögernde, war der Motor des Koalitionsbruchs durch die Liberalen, sondern der Graf. Im Parteiblättchen "Neue Bonner Depesche" erschien am 9. September ein Lambsdorff-Artikel mit der harmlosen Überschrift "Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit." Die Forderungen der FDP und der Ruf nach massiver Kürzung der Sozialleistungen war unannehmbar für die SPD. Das war der Freibrief für den Partnerwechsel, der Höhepunkt der politischen Macht des Grafen.

Vorstrafe als Orden

Der Absturz folgte wenig später. 1982 wurde der Graf im Zuge der Flick-Affäre und illegale Parteienfinanzierung, die sich "Landschaftspflege" nannte, wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 180.000 Mark verurteilt, vom Vorwurf der Bestechlichkeit wurde er freigesprochen. Bußfertig hat die Strafe Lambsdorff nicht gemacht - er trug sie eher wie einen Verdienstorden. Trotzig nannte er als die größte Niederlage seines Lebens stets die "Verabschiedung der falsch finanzierten Pflegeversicherung." Die FDP wiederum hat die Vorstrafe nicht gehindert, ihn 1988 zum FDP-Chef, später zum Ehrenvorsitzenden und Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung zu machen. Kein Wunder, dass die Liberalen extrem wortkarg waren, als im Jahr 2000 die Schwarzen Kassen Helmut Kohls aufflogen und der sich für seinen Bruch des Amtseids und der Gesetze hinter einem den Geldgebern gegebenen Ehrenwort verschanzte.

Memoiren hat Lambsdorff nie geschrieben. Aus seiner Sicht mit gutem Grund. "Weil man mit ehrlichen Memoiren die Hälfte seiner Freunde verliert, ohne vorher zu wissen, welche Hälfte es sein wird." Wohl der Grund, dass zur offiziellen Geburtstagsfeier am Montagabend mehr als 500 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihr Kommen angesagt hatten.