Pro und Contra Hilft mehr Bildung gegen Armut?

Deutschland ist ein reiches Land, trotzdem lebt jeder achte Deutsche in Armut. Aber wie kann Armut wirksam bekämpft werden? "Mehr Geld in die Sozialkassen", fordert Armutsforscher Christoph Butterwegge. stern-Autor Walter Wüllenweber widerspricht: "Die Armen haben Geld genug - es muss mehr in Bildung investiert werden."

CONTRA: "Mehr Geld in die Sozialkassen"

Von Christoph Butterwegge

Seit die Soziologin Jutta Allmendinger kurz vor der Jahrtausendwende den Begriff "Bildungsarmut" eingeführt hat, tut man so, als sei ein Mangel an Bildung der Hauptgrund für Armut. Richtig ist, dass Bildungsdefizite vielfach verhindern, dass junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt sofort Fuß fassen. Auch führt die Armut von Familien häufig dazu, dass deren Kinder keine weiterführende Schule besuchen oder sie ohne Abschlusszeugnis wieder verlassen.

Ursache und Wirkung dürfen allerdings nicht vertauscht werden. Spätestens seit den Pisa-Tests wissen wir, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien hierzulande erheblich schlechtere Bildungschancen haben als die Zöglinge der Gutsituierten. Empirisch belegt ist, dass sie auf diesem für ihren ganzen Lebensweg zentralen Feld stärker diskriminiert werden als in fast allen anderen Industriestaaten.

Entgegen einer idealistischen Sichtweise bestimmt die materielle Lage nach wie vor den Bildungsdrang und die kulturelle Prägung der Menschen, nicht umgekehrt. Während ein schlechter Schulabschluss die Erwerbschancen vieler Menschen verringert, wirkt er sich schließlich kaum nachteilig auf den Wohlstand einer Person aus, wenn diese bereits vermögend ist oder Kapital besitzt. Es ist paradox, dass der Sinn einer halbwegs gerechten Verteilung des Wohlstandes ausgerechnet zu einer Zeit immer häufiger angezweifelt wird, in der Geld in fast allen Gesellschaftsbereichen ständig an Bedeutung gewinnt.

Zur Person

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität Köln. Soeben ist sein neues Buch "Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird" erschienen(Campus Verlag, 378 Seiten, 24,90 Euro).

Gleichwohl ist Armut mehr, als wenig Geld zu haben. Ein auf wirtschaftliche Rahmendaten verkürzter Armutsbegriff erfasst keineswegs alle Facetten der sozialen Probleme von Millionen Menschen. Armut schlägt sich nicht bloß als chronisches Minus auf dem Bankkonto nieder, sondern führt zu vielfältigen Benachteiligungen, etwa auf den Gebieten der Bildung, der Kultur, der Gesundheit, der Freizeit und des Wohnens.

Dennoch verspricht die Bundesregierung den sozial Benachteiligten mit der Begründung "Aufstieg durch Bildung", diese wirke gegen Armut viel eher und nachhaltiger als Umverteilung, die völlig überholt sei. Bildung stellt jedoch nur ein begrenzt taugliches Mittel gegen Armut dar, weil sie nicht verhindern kann, dass materielle Ungleichgewichte auf die Lebensbedingungen junger Menschen durchschlagen.

Was unter günstigen Umständen zum individuellen Aufstieg taugt, versagt als generelles Patentrezept. Denn wenn alle Jugendlichen - was natürlich wünschenswert wäre - mehr Bildungsmöglichkeiten bekämen, würden sie womöglich um die immer noch viel zu wenigen Ausbildungs- und Arbeitsplätze nur auf einem höheren Niveau konkurrieren, nicht aber mit besseren Chancen. Dann gäbe es wieder mehr Taxifahrer mit Abitur, aber noch genauso viele Arme.

Zu den zahlreichen Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit so wenig verdienen, dass sie sich und ihre Familie kaum ernähren können, gehören schon heute keineswegs nur schlecht ausgebildete. Im deutschen Niedriglohnsektor finden sich sogar ausgesprochen viele Hochqualifizierte, die angesichts des Überangebots an Arbeitskräften geringer Qualifizierte selbst aus einfachen Jobs verdrängt haben.

Wer die Bildungspolitik als "Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts" bezeichnet, konstruiert zudem einen Gegensatz zwischen zwei Politikfeldern, die seit jeher miteinander verzahnt sind. Wer dann auch noch gleichzeitig von der Schule über die Weiterbildung bis zur Universität alle Bereiche privatisieren will, macht sich unglaubwürdig. Denn in einem solchen Bildungssystem stoßen Kinder nur noch auf Interesse, wenn sie zahlungskräftige Kunden sind. Aus diesem Grund sollte die Politik die Lernmittelfreiheit wieder garantieren und die Eltern nicht länger zur Zahlung von Büchergeld verpflichten. Kontraproduktiv ist auch, dass (Schul-)Bibliotheken aus Kostengründen geschlossen und Studiengebühren eingeführt wurden.

Es ist ein Widerspruch unserer Zeit, dass man Bildung immer mehr zu einer Ware herabwürdigt und sie gleichwohl als politische Wunderwaffe im Kampf gegen die Armut begreift. Eine gute Bildung weitet zwar den geistigen Horizont und erleichtert den beruflichen Aufstieg, sie beseitigt aber nicht das Problem einer Armut, die in den gesellschaftlichen Strukturen wurzelt. Eine bessere (Aus-)Bildung erhöht die Konkurrenzfähigkeit eines Heranwachsenden auf dem Arbeitsmarkt, ohne Erwerbslosigkeit und Armut als gesellschaftliche Phänomene zu beseitigen. Hierfür bedarf es in einem Land, das trotz der Weltwirtschaftskrise und ihrer Folgen noch nie so reich war wie heute, weiterhin der Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen.

Lesen Sie auch das PRO von Walter Wüllenweber: "Mehr Geld in die Bildung, die Armen haben genug"

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