Union und FDP planen eine radikale Steuerreform und wollen das deutsche System vom linear-progressiven Tarif auf ein Stufenmodell umstellen. Was das bedeutet, lesen Sie hier.
Wie schlecht ist das deutsche Steuersystem?
Im derzeit gültigen Modell der Einkommensteuer steigt der durchschnittliche Steuersatz in Abhängigkeit vom zu versteuernden Einkommen. Die Progression führt dazu, dass höhere Einkommen nicht nur absolut höher besteuert werden, sondern auch prozentual.
"Nur wenige Länder haben sich die Mühe gemacht, ein so differenziertes Modell zu entwickeln", sagt Thiess Büttner, Steuerexperte beim Münchner Ifo-Institut zu stern.de. "Das wird allgemein in der Wissenschaft auch als Erfolg gewertet." Deshalb ist für ihn der progressive Tarif auch unproblematisch.
Problematisch ist jedoch, dass das deutsche Steuersystem mit all seinen Ausnahme- und Sonderregelungen
extrem kompliziert
ist. Kaum ein Bürger blickt noch durch, was er alles steuerlich absetzen kann; viele Möglichkeiten zur Steuerminderung bleiben ungenutzt. Und ebenso ist oft völlig undurchsichtig, welche steuerlichen Folgen und neuen Absetzmöglichkeiten sich ergeben, wenn sich die persönliche finanzielle Situation verändert, beispielsweise bei einer Gehaltserhöhung. Das sorgt für enorme Unsicherheiten und mindert die Akzeptanz der Bürger. Am Ende privilegiert das deutsche Steuersystem denjenigen, der sich einen guten Steuerberater leisten kann. Die Komplexität ist auch aus Sicht des Staates schlecht: Die Steuererhebung und -überprüfung ist aufwendig und damit unnötig teuer.
Darüber hinaus führt die so genannte kalte Progression zu Ungerechtigkeiten. So wird die Steuermehrbelastung bezeichnet, die dann eintritt, wenn Lohnsteigerungen lediglich zu einem Inflationsausgleich führen und gleichzeitig die Einkommensteuersätze nicht der Inflationsrate angepasst werden. Dadurch könne ein Steuerzahler "allein durch die jährliche Preissteigerung in eine höhere Stufe rücken", erläutert Ifo-Experte Büttner.
Die Folge: Eine nominelle Einkommenserhöhung führt zu einem realen Einkommensverlust. Das ist für den Betroffenen nicht nur ungerecht, sondern auch aus ökonomischen Gründen widersinnig: Durch die kalte Progression werden Gehaltssteigerungen in bestimmten Fällen quasi bestraft; der Anreiz, mehr zu leisten und dadurch ein höheres Einkommen zu erzielen, wird gedämpft.

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Welche Änderungen plant Schwarz-Gelb?
Nach einem Bericht der "Financial Times Deutschland" kann sich die FDP mit ihrer Grundforderung durchsetzen, das deutsche Steuersystem grundlegend zu ändern: vom linear-progressiven Tarifverlauf zu einem einfachen Stufenmodell. Wie viele Stufen es geben soll, ist noch nicht ausgemacht. Die FDP hat ursprünglich drei angestrebt: Bei Jahreseinkommen bis zu 20.000 Euro sollten 10 Prozent, für 20.000 bis 50.000 Euro 25 Prozent und ab 50.000 Euro 35 Prozent Steuern fällig werden.
Möglich sind als Kompromiss aber auch fünf Stufen, wie es aus Koalitionskreisen heißt. Voraussichtlich wird dabei auch die Entlastung der Bürger geringer ausfallen, als die insgesamt 35 Milliarden Euro, die die FDP geplant hatte.
Aus technischen Gründen kann die Umstellung des Steuersystems frühestens 2011 erfolgen. Dafür könnte es bereits im nächsten Jahr eine Erhöhung des Kinderfreibetrags und des Kindergelds geben, wie es beiden Koalitionspartner vorgesehen hatten.
Was sind die Nachteile eines Stufentarifs?
Experten sind von dem Stufenmodell nicht überzeugt - wenn nicht gleichzeitig das gesamte System reformiert wird: "Man kann kritisieren, dass es zu viele Vergünstigungen im deutschen Steuerrecht gibt, aber das wird durch ein Stufenmodell per se nicht abgeschafft", sagt Thiess Büttner, Steuerexperte beim Münchner Ifo-Institut. Er plädiert für eine grundsätzliche "Entrümpelung des Steuersystems". Erst dann ergäbe ein Stufenmodell Sinn: Gegensatz zum Progressionsmodell sei dann "auf einen Blick klar, wie viel Steuern ich zahlen muss, wenn ich nichts absetzen kann", argumentiert der Ifo-Experte.
Nach Ansicht von Büttner löst ein Stufentarif auch nicht das Problem der kalten Progression. "Um diesen Fehler zu beseitigen, müsste die Steuertabelle in regelmäßigen Abständen mit Blick auf die Inflation angepasst werden", erläutert er. "Das geschieht heute ja auch schon, wenn auch nur sehr unregelmäßig." Er sieht die Beseitigung der Fehlanreize auch als nicht prioritär an. Aufgrund der Wirtschaftskrise sei die Inflation derzeit kein Problem. Die Abschaffung der Progression sei deshalb "eher eine langfristige Frage".
Wer wird am stärksten profitieren?
Die Koalitionsverhandlungen sind noch mitten im Gange. Wie genau die Deutschen in Zukunft ihre Steuern zahlen, ist noch unklar. Deshalb ist es derzeit nicht möglich auszurechnen, wer wie viel Steuern zahlen muss - und inwieweit sich das ambitionierte Programm der FDP durchsetzen lässt.
Fest scheint jedoch zu stehen: Die neue Regierung will den Eingangssteuersatz senken. Um wie viel, ist noch nicht klar. Die Union hatte im Wahlprogramm eine schrittweise Senkung von 14 auf 12 Prozent vorgeschlagen, die FDP auf 10 Prozent.
Union und FDP wollen zudem Familien entlasten. Über eine Anhebung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags ist jedoch noch keine Entscheidung gefallen.
Wie will Schwarz-Gelb die Entlastung finanzieren?
Sowohl FDP als auch Union haben den Wählern vor der Wahl Steuererleichterungen versprochen. Die FDP will auf 35 Milliarden Euro Einnahmen verzichten, die Union auf 15 Milliarden. Die Liberalen fordern zudem den Wechsel auf ein Stufenmodell bei der Einkommensteuer, die Union wollte bislang den progressiven Verlauf beibehalten.
Eine Umstellung auf ein Stufenmodell kann sehr kostspielig werden: "Fiskalisch gesehen ist das eine teure Sache", sagt Steuerexperte Ralph Brügelmann vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft zu stern.de. Laut "Financial Times Deutschland" ist offenbar ein Modell mit insgesamt bis zu fünf Steuerstufen im Gespräch. Die höchste Stufe könnte dabei in der Nähe des bisherigen Spitzensteuersatzes liegen. Dadurch würden die Einnahmeverluste geringer ausfallen.
Ganz ohne ein Steuerminus wird die Umstellung aber nicht gehen. Will eine schwarz-gelbe Regierung den bisherigen Tarifverlauf behalten und sich den Umstieg nichts kosten lassen, müsste der Eingangssteuernsatz erhöht werden, befürchtet Brügelmann. Dies ist jedoch angesichts der Steuerversprechen beider Parteien wenig wahrscheinlich.
Eine große Entlastung in Höhe von 35 Milliarden, wie sie die FDP fordert, ist jedoch kaum zu finanzieren, das haben auch mittlerweile die Liberalen eingesehen. Wegen des Wirtschaftsabschwungs sind die Kassen extrem leer. Steuern brechen weg, dazu kommen höhere Ausgaben für Arbeitslose und die noch unklaren Kosten der Bankenrettung. Außerdem zwingt die neue Schuldenbremse die Koalition auf einen Sparkurs. Am Ende wird die Entlastung deshalb wohl eher in der Nähe der von der Union versprochenen 15 Milliarden liegen.
Die FDP setzt außerdem darauf, dass niedrigere Steuern in einem einfachen System für die Bürger starke Leistungsanreize darstellen. Sie würden mehr leisten - dadurch könnte die Wirtschaft wachsen. Das würde zu höheren Staatseinnahmen führen und die Kosten der Steuersenkungen zum Teil wieder ausgleichen.
Und ganz so desolat, wie der finanzielle Spielraum vor der Wahl aussah, ist er wohl doch nicht. Zumindest etwas besser dürfte er ausfallen, glaubt man der Wachstumsprognose, die die Bundesregierung am Freitag vorstellen will. Sie dürfte, so berichtet die "Financial Times Deutschland", besser ausfallen als die bisherige. Wahrscheinlich wird die Regierung für 2009 statt sechs Prozent ein Minus von etwa fünf Prozent vorhersagen.
Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute korrigierten ihre Konjunkturprognose für dieses und das kommende Jahr deutlich nach oben: 2009 wird die Wirtschaftsleistung um 5,0 Prozent sinken, 2010 dann um 1,2 Prozent steigen.