Hans-Martin Tillack Angelas Geschenkelädchen

Hans-Martin Tillack: Angelas Geschenkelädchen

"Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker", hat Che Guevara angeblich mal gesagt. Ähnlich lyrisch sieht man das auch in Angela Merkels Kanzleramt. Dort hatte ich schon vor ein paar Monaten auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Einsicht in die Akten verlangt, aus denen hervorgeht, was für Geschenke die Mitglieder der Bundesregierung in den vergangenen 12 Jahren erhalten haben – und was mit diesen geschehen ist.

Präsente, die die Kanzlerin und ihre Minister „mit Bezug auf ihr Amt erhalten“, dürfen sie nämlich nicht einfach behalten. Vielmehr entscheidet das Bundeskabinett, was mit den milden Gaben geschieht. Den Antrag hatte ich übrigens gestellt, nachdem wir die Meldung über ein kostenloses Upgrade für den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) gelesen hatten. Das bekamen Wulff und seine Frau von Air-Berlin-Chef Joachim Hunold, erstatteten den Differenzbetrag dann aber lieber wieder zurück.

Jetzt schickte mir das Kanzleramt die Antwort auf meinen Antrag. Leider, leider wurde er abgelehnt. Kanzleramtschef Ronald Pofalla (auch CDU) will sich nicht in die Akten gucken lassen. Warum nicht? Die Beamten brauchten sechs Seiten und schwangen sich zu einer Politpoesie auf, angesichts der Ernesto Che Guevara vor Neid erblassen würde.

„Über die Verwendung der Geschenke wird nach entsprechender Mitteilung im Kabinett beraten und entschieden“, entnehmen wir dem Schreiben. „Dabei geht es um gewichtige und teilweise politisch heikle Entscheidungen. Der Austausch von Geschenken insbesondere beim Besuch anderer Staaten hat eine große historische Tradition und ist Teil des zwischenstaatlichen Zeremoniells. Diplomatische Geschenke sind Symbole des kulturellen Austauschs zwischen Völkern und Nationen. Meist genießen sie höchste Wertschätzung beim Beschenkten und sind Anknüpfungspunkte für kulturübergreifende Beschäftigung mit dem Anderen.“ Mit dem Anderen!

Schön, dass unsere Regierungsmitglieder im harten Alltag der internationalen Beziehungen auch mal innehalten und die Begegnung suchen mit dem Gegenüber! Jedenfalls „meist“. Und wer weiß, vielleicht erfahren sie in der Konfrontation mit dem Mitmenschen aus der fremden Kultur auch etwas über sich?

„Was wollte mir Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew über das goldene Teeservice mit Kamelkanne mitteilen?“, wird Kanzlerin Merkel im Januar 2007 gegrübelt haben. Tee! Kamel! Rätselhafte zentralasiatische Steppe!

Oder diese schwere ledergebundene Sammlung mit CDs und DVDs aus Hollywood, mit goldener Gravur, von George Walker Bush damals im Jahr 2006. Ja, auch der Amerikaner hat Kultur – man sieht das an der Goldgravur.

Von diesen beiden Beispielen wissen wir dank des Politikchefs der Illustrierten „Bunte“, Tobias Lobe. Der, in der Tradition des Blattes stark aufs genaue Hingucken orientiert, durfte vor zwei Jahren in die Asservatenkammer im dritten Stock des Kanzleramtes, wo all die Pretiosen aufgebahrt sind.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Aber zurück zum leider negativen Bescheid des Kanzleramtes, den wir heute bekommen haben. Abgelehnt wurde er auch, weil die Entscheidungen über all die Teetassen und CDs nun mal zum „innersten Bereich der Willensbildung der Bundesregierung“ gehörten und „damit Bestandteil des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung“ seien. Der sei auch laut IFG vom neugierigen Zugriff des Bürgers ausgenommen. Dieser ist nach der Gesetzesinterpretation des Kanzleramts nämlich nur bei „den öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben“ möglich.

Genau das gilt zwar nach dem von den Kanzleramtsleuten - falsch - zitierten Paragraphen ausdrücklich gerade nicht für Behörden wie die ihre. Aber was soll auch all die staubige Juristerei, wo es doch um Staubfänger – Pardon, um höhere Güter geht, um Geschenke als „Ausdruck der Hochachtung gegenüber den Repräsentanten Deutschlands“. Denn „sie symbolisieren und verkörpern die Wertschätzung anderer Staaten, eines Vertreters einer Institution oder einer Privatperson für den Beschenkten“. Und „mit der Entscheidung durch die Bundesregierung über die Verwendung wird dem Geschenk ein besonderer Stellenwert eingeräumt“.

An dieser Stelle des amtlichen Bescheids folgen zwei Sätze, die für sich genommen rätselhaft erscheinen mögen: „Allerdings“, so das Kanzleramt, könne die Entscheidung über die Geschenkeverwendung „aufgrund der vielfältigen Beziehungsverflechtungen unterschiedliche Auswirkungen auf das Verhältnis zum Gebenden oder zu Dritten haben. Eine Herausgabe der Entscheidung über die Verwendung der Geschenke kann sich deshalb nachteilig auf die (internationalen) Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und einzelnen Staaten oder Institutionen auswirken“.

Was will uns die Regierungszentrale damit sagen? Sind die Schund-CDs von George Bush am Ende doch auf dem Flohmarkt gelandet? Das kasachische Teeservice im Müll? „Geht mir aus den Augen mit der Kamelkanne!“ Hat das Angela Merkel etwa gerufen?

Leider nicht ganz ausgeschlossen. Bereits seit einigen Jahren ist die Regierung dazu übergegangen, einen Teil all des diplomatisch bedeutsamen Nippes’ ganz schnöde per Internet-Auktion zu verscherbeln. So schrieb es zumindest im Dezember 2004 die Deutsche Presseagentur.

Kein schöner Zug der Regierung, gewiss. In Kasachstan könnte das manchen schmerzen. Aber weiß nicht auch der Zentralasiate, dass die Begegnung mit dem Anderen durchaus scheitern kann? Und die Erinnerungsstücke bei Ebay enden?

Vielleicht ist das dem Kasachen vertraut, vielleicht auch nicht. Aber eins ist sicher: Der interkulturelle Dialog, er muss weitergehen.