Hans-Martin Tillack Köhler, Kulczyk und der Euro

Ein gewisser Horst Köhler tauchte dieser Tage – fast unangekündigt – bei einer Konferenz in den Karpaten auf. Und stürzte sich gleich in einen heftigen Streit um die Euro-Rettung.

Ja, die Rede ist von unserem ehemaligen Bundespräsidenten. Aber der Reihe nach. Vergangene Woche war ich Gast beim Economic Forum im polnischen Krynica-Zdrój – eine Art Davos für Osteuropäer. Vor einigen – eher wenigen - Zuhörern durfte ich über das Verhältnis zwischen Journalisten und Whistleblowern reden. Gleich danach – und natürlich vor sehr viel mehr Publikum – lieferte sich Köhler auf einem anderen Podium der Konferenz ein heftiges Wortgefecht. Und zwar mit dem polnischen Finanzminister Jacek Rostowski.

Deutsche Medien waren offenbar nicht vor Ort. Das Ereignis blieb hierzulande bisher unbemerkt. Es ging in Krynica, natürlich, um die Euro-Rettung. Oder sollten wir sagen: deren Versuch? Rostowski vertrat als Pole das Land, das derzeit die Präsidentschaft im EU-Ministerrat hat. Und er zeigte offen, wie groß seine Ängste sind. Falls die Krise von Griechenland – gemeint war offenkundig eine mögliche Pleite des Landes – auf Italien überschwappe, dann sei der Euro am Ende, warnte Rostowski: „There is no way the euro zone can survive a crisis in Italy“, rief er. Eigentlich, so suggerierte er, gebe es nur eine Lösung: Die Europäische Zentralbank (EZB) müsste noch weit massiver als heute südeuropäische Staatsanleihen aufkaufen und die zu erwartenden Milliardenverluste hinterher den Mitgliedsstaaten aufbürden. Nur leider, leider, sei das vom EU-Vertrag nicht gedeckt.

Das machte Rostowskis Podiumsnachbarn Köhler fuchsig. Noch mehr „billiges Geld“ von der Zentralbank sei genau die falsche Antwort, beharrte er – ganz ähnlich wie vor einigen Tagen sein Amtsnachfolger Christian Wulff.

Rostowski rutschte erst tiefer in seinen Sitz und schlug dann zurück: „Wollen die Länder im Norden wirklich ihre eigene Währungsunion schaffen?“, fragte er provokativ. Köhler nahm auch diesen Ball auf. Die Deutschen hätten sehr wohl Solidarität gezeigt und würden diese auch weiter zeigen. Aber viel zu viele Länder hätten schlicht „über ihre Verhältnisse gelebt“. Sie müssten darum nun ihr Schuldenproblem anpacken.

Der Streit zwischen dem Polen und dem Deutschen ging über mehrere Runden – ganz gegen die Etikette, die EU-Politikern bei derartigen Konferenzen bisher gebot, sich nicht direkt zu widersprechen.

Und Köhler war nicht der einzige, der in Krynica Streit suchte. Ein italienischer Professor, Sergio Cesaratto aus Siena, formulierte einen Vorwurf gleich an die gesamte deutsche Politikerriege: Sie zeigten mit ihrer Fixierung auf die Haushaltskonsolidierung eine „Tea-Party-Mentalität“. Eine bemerkenswerte Formulierung.

Mit einem ganz anderen Vergleich operierte die Parlamentspräsidentin des jüngsten Euro-Landes Estland, Ene Ergma. In den Krisenländern der Euro-Zone, denen nun auch Estland helfen muss, seien die Sozialleistungen höher als bei ihr im Land, erinnerte sie die Zuhörer. Estland habe 2008 selbst in einer tiefen Rezession – dramatischer als heute in Griechenland – brachial gespart, um den nationalen Bankrott abzuwenden. Was man jetzt brauche, sei keine europäische Regierung und noch mehr Bürokratie, sondern Mitgliedsstaaten, die ihre Haushalte in Ordnung brächten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der ehemalige deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen, der das Panel mit der Baltin leitete, versuchte es darauf noch mal mit der Methode des erprobten Kuscheleuropäers. Er vermied es höflich, Ergmas Klage an den Portugiesen in der Runde weiter zu geben. Der, ein sozialistischer Parlamentsabgeordneter namens Eduardo Cabrita, redete darauf ganz allgemein und ohne die Estin zu erwähnen gegen „Egoismus“ und „nationalistische Antworten“ an. Jeder wusste, wen er meinte.

Also: Der Ton zwischen den Europäern, Nord und Süd, wird rauer. Das wusste man zwar schon vorher. Aber wir werden es alle in den kommenden Wochen und Monaten noch sehr viel öfter erleben.

Wenn immer die EU-Politiker aus Nord und Süd bei der Euro-Rettung eigentlich miteinander kooperieren müssten, „bekommen sie Probleme mit ihrer Wählerschaft“ - klagte Finanzminister Rostowski in Krynica.

P.S.: Dass Köhler in den Karpaten praktisch unbeobachtet einen seiner wenigen öffentlichen Auftritte absolvieren konnte, liegt vielleicht daran, dass er erst wenige Tage vor Beginn seine Teilnahme zugesagt hatte. Die hatten nicht die Veranstalter selbst organisiert, sondern der – schillernde – polnische Wirtschaftsmagnat Jan Kulczyk. Kulczyk - der als der reichste Mann seines Landes gilt - saß mit in der Runde mit Köhler und pflichtete dem deutschen Gast bei dessen Beiträgen eifrig bei.

Er habe Kulczyk Ende 2010 „auf Anregung des polnischen Botschafters in Deutschland“, Marek Prawda, kennen gelernt, ließ Köhler jetzt ausrichten. Hatte der Unternehmer Köhler für die Teilnahme honoriert? „Zu solchen Fragen“, so Köhlers Büro, äußere sich der Präsident a.D. „grundsätzlich nicht“.