Hans-Martin Tillack Lobbyisten unter Strom

Geschätzt jeder zehnte der geschätzt 5000 Berliner Lobbyisten arbeitet für die Energiebranche.

Kein Wunder – für die Unternehmen dieser Branche hängt Wohl und Wehe oft von der Politik ab. In die Aktivitäten ihrer Lobbyisten kommt jetzt immerhin ein kleines bisschen Transparenz.

Auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Eva Bulling-Schröter hat die Bundesregierung jetzt alle Termine offengelegt, die Staatssekretäre und Minister bis rauf zur Kanzlerin in der abgelaufenen Wahlperiode mit Vertretern der Energiebranche hatten. Ich konnte die Antwort vorab einsehen (hier der Link zum inzwischen veröffentlichten vollständigen Text). Vor einigen Wochen hatte das Kanzleramt auf Bitten des SPD-Energieexperten Marco Bülow eine ähnliche Auflistung nur für die Regierungszentrale herausgegeben. Auf stern.de hatte ich darüber berichtet. Dort hatten wir zugleich einen ausführlichen Report über die Bemühungen der Energielobby veröffentlicht, auf die Koalitionsverhandlungen Einfluss zu nehmen.

Die Antwort an Bulling-Schröter zeigt jetzt ein ähnliches Muster wie die Ergebnisse für das Kanzleramt: Die Chefs der großen Energieversorger RWE, Eon, Vattenfall und EnBW waren regelmäßig zu Gesprächen mit der Kanzlerin und ihren Ministern zu Gast, Lobbyisten der Ökostrombranche eher selten. Das Spitzenpersonal der Regierung treffe „sich offensichtlich deutlich lieber mit der alten Energiewirtschaft“ und Vertretern der großen Energiekonzerne, kommentiert das Bulling-Schröter. Nur im Umweltministerium sprachen Minister und Staatssekretäre häufiger auch mit Interessenvertretern der erneuerbaren Energiewirtschaft, etwa vom Dachverband BEE oder dem Bundesverband Solarwirtschaft des als besonders umtriebig geltenden Geschäftsführers Carsten Körnig.

Ausnahmen bestätigen die Regel. So widmeten sich Minister und Staatssekretäre durchaus öfters den Sorgen der Offshore-Windindustrie – die ist eben auch eher großindustriell organisiert. Auch Vorstände der Firma Juwi, die Solar- und Windparks projektiert, waren wiederholt zu Gast in den Ministerien. Das Unternehmen ist groß genug, um sich gelegentlich Spenden an die CDU (wie auch an SPD und Grüne) leisten zu können - womit nicht gesagt sein soll, dass die Parteispenden gezahlt wurden oder notwendig sind, um von der Regierung angehört zu werden. Wie auch immer - Juwi-Vorstand Fred Jung wurde im Juni 2010 sogar vom damaligen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) empfangen. Ansonsten dominieren die Namen der Chefs der vier großen Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW.

Besonders rührig ist überdies offenkundig Hildegard Müller, die Hauptgeschäftsführerin des BDEW, des Lobbyverbandes der Kraftwerksbetreiber. Die ehemalige CDU-Politikerin und einstige Staatsministerin im Kanzleramt war sogar noch häufiger in Angela Merkels Regierungszentrale zu Besuch, als bisher gegenüber Marco Bülow offengelegt (sie traf Kanzleramtsminister Ronald Pofalla zweimal, nicht nur einmal) und sie ist auch in den Fachministerien offenkundig gut eingeführt. Im Wirtschaftsressort traf sie wiederholt Minister wie Staatssekretäre, im Finanzressort von Minister Wolfgang Schäuble (CDU) empfing sie in den vergangenen beiden Jahren zweimal der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter (CDU). Auch im ebenfalls CDU-geführten Bildungsministerium war sie zweimal zu Gesprächen, einmal mit der damaligen Ministerin Annette Schavan. Und zwei Termine hatte sie überdies mit Staatssekretären des Ministeriums für Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Nicht uninteressant ist die Auflistung überdies, weil sie Einblicke in die Gästelisten der großen Sommerfeste erlaubt, die die Stromversorger RWE und EnBW jedes Jahr in Berlin organisieren. Beide Unternehmen laden dazu alljährlich hunderte Politiker, Beamte und Abgeordnete ein. Die tummeln sich dann bei RWE im Restaurant Auster in der alten Berliner Kongresshalle sowie bei EnBW auf der Dachterrasse von deren Berliner Repräsentanz. Die liegt direkt an der Spree, nur einen Katzensprung von Kanzleramt und Reichstag entfernt.

Für diese Feiern treiben die Konzerne einigen Aufwand. In diesem Sommer hatte EnBW schon in der Einladung als „Musikact“ einen Auftritt des mittelbekannten Popsängers Roman Lob angekündigt, der mal Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten hat. Folgt man der Aufstellung der Bundesregierung, dann feierten dort neben Umweltminister Peter Altmaier (CDU) insgesamt fünf Staatssekretäre mit – aus den Ressorts für Wirtschaft, Umwelt, Arbeit und Auswärtiges. RWE wiederum konnte in diesem Sommer Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) anlocken sowie immerhin drei Staatssekretäre aus den Ministerien für Wirtschaft, Arbeit und Entwicklungshilfe.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Noch mehr Prominenz sammelte sich bei RWE beim Fest im Juni 2012, mit den Ministern Philip Rösler (FDP), Ursula von der Leyen (CDU) sowie Peter Altmaier. RWE lädt übrigens überdies zu Beginn jeden Jahres zum Neujahrsempfang – und auch dieser Einladung folgen alljährlich Minister und allerlei Staatssekretäre. Den Würdenträgern dient das zur Abendunterhaltung – die Lobbyisten nutzen es zur Kontaktpflege (ja, auch der stern veranstaltet alljährlich ein Sommerfest – das dient aber nicht der verdeckten Einflussnahme auf die Politik, sondern hilft uns bei der Berichterstattung für unsere Leser).

Sicher nicht zufällig interessieren sich Lobbyisten übrigens auch für die Aktivitäten von ihresgleichen. Kaum hatte Bulling-Schröter ihre Anfrage gestellt, stand das in einem energiepolitischen Branchendienst zu lesen. Und im Abgeordnetenbüro der Linken-Politikerin fragten bis Ende vergangener Woche bereits zwei Unternehmen an, ob denn die Antwort schon vorliege.

Seit Barack Obamas Amtsantritt als US-Präsident veröffentlicht das Weiße Haus in Washington alle Lobbytermine auf der offiziellen Webseite. Kanzlerin Angela Merkel hatte das in der Vergangenheit abgelehnt. Sie sollte sich das vielleicht noch einmal überlegen – falls sie am Dienstag kommender Woche wiedergewählt wird.

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