Der Bundestag ist unter Druck,seit der stern publik machte, wie das Parlament den Bundesrechnungshof (BRH) unliebsame Prüfungsergebnisse unter Verschluss halten lässt.
Jetzt wehrt sich die Volksvertretung - mit irreführenden Behauptungen. Heute veröffentlichte der Bundestag eine Pressemitteilung des für den BRH zuständigen Rechnungsprüfungsausschusses. In der wird die Gesetzeslage in erstaunlich verzerrter Weise geschildert: In der „Zukunft“ gelte, so die überraschende Ankündigung des Parlaments, dass der Hof „alle Berichte an das Parlament im Internet veröffentlicht, „sobald das Parlament diese abschließend beraten hat“.
Warum das „in Zukunft“ gelten soll, obwohl doch der Bundestag im Juni 2013 das ziemliche Gegenteil beschlossen hat – es bleibt bisher das Geheimnis der Parlamentarier. Und ein ebenfalls heute veröffentlichter Bericht des Bundesrechnungshofs widerlegt einige weitere Schutzbehauptungen der Abgeordneten: Sie hätten den Zugang zu Akten der Prüfbehörde nur deshalb eingeschränkt, weil das die Prüfbehörde selbst so wollte.
Die Wahrheit ist: Der BRH wäre mit einer sehr viel weniger restriktiven Einschränkung einverstanden gewesen, hatte sich darauf auch schon im März mit dem Rechnungsprüfungsausschuss geeinigt – doch dann kam etwas dazwischen.
Was da dazwischen kam - es kann kaum etwas anderes gewesen sein, als ein Antrag, den der stern im März 2013 an den BRH richtete. Wir erbaten damals Zugang zu den Prüfunterlagen und Prüfberichten über die Fraktionen im Bundestag selbst. 80 Millionen Euro Steuergeld fließen jährlich an die Abgeordnetengruppen – wohlgemerkt zusätzlich zu Diäten und Entschädigungen für die einzelnen Parlamentarier. Die Verwendung dieser Mittel prüft der Rechnungshof. Beanstandungen muss er laut Bundesverfassungsgericht veröffentlichen – hat das jedoch nie getan.
Unsere Anfrage auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) hätte wohl zumindest teilweise Erfolg gehabt. Das lässt sich indirekt einem Schreiben des BRH-Präsidenten Dieter Engels an den Rechnungsprüfungsausschuss vom 22. Dezember 2012 entnehmen. Sieben Tage zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht der Klage eines Journalisten Recht gegeben und entschieden, dass das IFG auch für den Rechnungshof gelte.
Nun warnte Engels die Abgeordneten, „dass der Bundesrechnungshof damit grundsätzlich verpflichtet ist, seine Berichte sowie seine sonstigen Prüfungsergebnisse Journalisten und allen anderen Antragstellern zur Verfügung zu stellen, und dass er – möglicherweise – auch seine Akten öffnen muss. Dies gilt nicht nur für künftige Prüfungen, sondern auch rückwirkend für alle bisherigen Prüfungen des Bundesrechnungshofes, unabhängig davon, ob geprüfte Stellen die Bundesministerien, die Fraktionen des Deutschen Bundestages, die Sozialversicherungsträger oder sonstige Stellen sind.“
Also auch die Fraktionen. Der Rechnungshof sah durch das Urteil eine große „Rechtsunsicherheit“ und viel Ärger auf sich zukommen. Geprüfte Stellen könnten womöglich aus Angst vor der Transparenz sogar die Herausgabe von Akten verweigern und müssten erst vor Gericht gezerrt werden, sorgten sich die Rechnungsprüfer.
Sie schlugen darum bereits im Dezember 2012 eine – durchaus maßvolle - Gesetzesänderung vor: Die Prüfarbeit des Hofes solle weiter vertraulich bleiben, doch die Prüfergebnisse könne man ja „gegebenenfalls nach einer vorherigen parlamentarischen Beratung“ herausgeben und so „Ergebnistransparenz gewährleisten“. Eine solche „Ergebnistransparenz“ erfülle auch „die von der Internationalen Organisation der Obersten Rechnungskontrollbehörden verabschiedeten internationalen Standards“. Sie passe überdies zur Praxis der Gerichte in Deutschland, bei denen ja ebenfalls „Urteile und Beschlüsse öffentlich“ seien, nicht aber die vorbereitenden Akten.
Ende Februar 2013 einigte sich der Hof bereits mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, damals Peter Schaar, auf einen „einvernehmlichen Vorschlag“ für eine solche vergleichsweise behutsame Reform des IFG. Die „Herausgabe von Erhebungsunterlagen, Entwürfen und sonstigen Bestandteilen von Prüfungs- und Beratungsakten“ sollte demnach zwar künftig „ausgeschlossen“ werden. „Abschließend festgestellte Prüfungsergebnisse“ dagegen müssten „grundsätzlich herausgegeben“ werden. Zum Ausgleich für den eingeschränkten Zugang bestand Schaar auf einem "proaktiven Element": Berichte zu "Angelegenheiten von besonderen Bedeutung", die der Hof dem Bundestag zuleite, solle er künftig zeitgleich ins Internet stellen.
Innenministerium, Finanzministerium und Justizministerium waren beteiligt *. Der Text wurde sprachlich ein bisschen überarbeitet und am 22. März 2013 auch vom Rechnungsprüfungsausschuss gutgeheißen. Der empfahl - so der jetzt veröffentlichte Rechnungshofbericht - eine schnelle Umsetzung.
Doch die kam nicht. Manche sagen, dass das Innenministerium skeptisch blieb. Einschränkungen des IFG und damit Abbau von Transparenz kommen bei den Bürgern halt nicht gut an, schon gar nicht im Wahljahr.
Doch spätestens ab Ende April erfuhren die Fraktionen im Bundestag von dem Wunsch des stern, die Rechnungshofberichte zu ihren Finanzen einzusehen. „75 zum Teil umfangreiche Aktenbände“ seien dazu aus den Jahren seit 1987 vorhanden, lernten wir zu unserer eigenen Überraschung vom BRH.
Nun, im Mai und Juni 2013 musste alles ganz schnell gehen und plötzlich kam eine weitaus radikalere Gesetzesänderung in Gang. Im Bundesfinanzministerium machten sich die Beamten von Minister Wolfgang Schäuble (CDU) an die Arbeit und stellten dem Rechnungshof am 4. Juni eine so genannte Formulierungshilfe vor, die nicht mehr das von der Öffentlichkeit stark beachtete IFG betraf, sondern die eher obskure Bundeshaushaltsordnung (BHO).
Nach dieser „Formulierungshilfe“ sollte es nun auch bei Prüfergebnissen ins Ermessen des Rechnungshofes gestellt werden, ob er die Berichte herausgebe - oder eben nicht. Aus einer Muss-Bestimmung wurde also eine Kann-Bestimmung. Offenheit sollte nur noch erlaubt, aber nicht mehr vorgeschrieben sein. Ermessensentscheidungen lassen sich übrigens auch vor Gericht nur schwer mit Erfolg angreifen – und genau darum ging es offensichtlich.
Am Mittag des 6. Juni 2013 informierte das Finanzministerium den Bundesbeauftragten Schaar von seinem neuen Plan – und bat um Stellungnahme noch am selben Abend. Der protestierte am 10. Juni mit einem geharnischten Schreiben an die damalige Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses, Petra Merkel (SPD): „Ich habe gegenüber dem federführenden Bundesministerium der Finanzen, das mich erst am vergangenen Donnerstagmittag mit extrem kurzer Frist um Stellungnahme zu der Formulierungshilfe gebeten hat, bereits deutlich gemacht, dass die vorgeschlagenen Änderungen der BHO in wesentlichen Teilen nicht mitgetragen werden können“, schrieb Schaar in dem Brief. Der „aktuelle Vorschlag“ entspreche nicht dem gemeinsamen Entwurf vom März. Und der Bundesbeauftragte stellte klar: „Insbesondere darf der Informationszugang nicht in das Ermessen des BRH gestellt werden.“
Dieser Protest beeindruckte nicht einmal die Abgeordneten von Linken und Grünen, die sich sonst gerne als Verfechter von mehr Transparenz geben. In diesem Fall wollten sie lieber sehr viel weniger Transparenz und das möglichst schnell.
Bereits am 12. Juni 2013 beschloss der Haushaltsausschuss die vom Finanzministerium vorgeschlagene und von Schaar abgelehnte Änderung, versteckt als Ergänzung zum „Ersten Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes“. Sowohl im Ausschuss wie auch in der Nacht darauf im Plenum des Bundestages stimmten alle Fraktionen zu (hier ein schöner Bericht von abgeordnetenwatch.de).
Die beteiligten Abgeordneten trugen ihre Reden nicht vor, sondern gaben sie – wie in solchen Fällen nicht selten – einfach zu Protokoll (hier ab Seite 279 beziehungsweise 31517 in der offiziellen Paginierung). Im Beitrag der Grünen-Politikerin Priska Hinz, der heutigen hessischen Umweltministerin, schimmerte immerhin ein kleines bisschen schlechtes Gewissen durch. Sie hoffe, so Hinz, dass der Rechnungshof „seinen Ermessensspielraum nicht missbrauchen“ werde. Aber sie bekundete auch ihr „großes Vertrauen in das Urteilsvermögen des Bundesrechnungshofes“.
Lange blieb die Gesetzesänderung unentdeckt. Wir erfuhren von ihr am 7. Februar 2014. An diesem Tag lehnte der Rechnungshof unseren Antrag auf Zugang zu Informationen über die Fraktionsfinanzen endgültig ab und zwar in Bausch und Bogen. Nicht einmal die fertigen Prüfberichte wollte der Hof herausgeben, geschweige denn irgendwelche anderen Unterlagen.
Klagen über das Urteilsvermögen des Rechnungshofes in diesem Fall – sie gab es von keiner der Fraktionen, weder von CDU/CSU, Grünen, Linken und SPD, noch von der FDP-Fraktion in Abwicklung. Im Gegenteil, sie hatten den Hof um diese Informationsblockade gebeten.
Seit Juli 2013 gilt für den Bundesrechnungshof in der Tat auch - wie von Peter Schaar erbeten - eine neue Pflicht zur proaktiven Information: Berichte zu"Angelegenheiten von besonderer Bedeutung", die der Bundestag bekommt, müssen sodann "unverzüglich" im Internet veröffentlicht werden. Also nicht erst, wie man im Rechnungsprüfungsausschuss zu meinen scheint, wenn das Parlament "abschließend" über die Reports beraten hat. Sei es wie es sei: In den acht Monaten, seit die Bestimmung gilt, hat der Rechnungshof offenkundig keinerlei solchen Bericht an das Parlament übergeben und folglich auch keinen veröffentlicht. Jedenfalls ist auf der Website des Hofes keiner zu finden.
Wollen die Abgeordneten aber, dass es „in Zukunft“ wirklich mehr Offenheit gibt, die Lösung wäre ganz einfach: Sie müssten die klammheimliche Gesetzesänderung vom Juni 2013 wieder korrigieren.
* In der Ursprungsversion des Textes hatte ich geschrieben, die Ministerien hätten dem Entwurf von März 2013 zugestimmt. Sie waren aber nur beteiligt. Laut Innenministerium war dieser Vorschlag nicht mit den Ministerien "abgestimmt".
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