Hans-Martin Tillack Wie man die Sitten verdirbt

Das Netzwerk Recherche ist eine Organisation mit vielen Verdiensten, aber wie bei manchen noch traditionsreicheren Organisationen (SPD, EU-Kommission etc) vertragen in der Führungsetage einige nur sehr schlecht Kritik.

Anders als bei der SPD oder der EU-Kommission bin ich beim Netzwerk Recherche ein zahlendes Mitglied und das seit neun Jahren. Der Verein will den kritischen Recherchejournalismus fördern. Daher wünsche ich ihm im Prinzip allen denkbaren Erfolg. Nur manchmal bin ich von seinen Aktivitäten nicht so überzeugt – und eben von der Art und Weise, wie der Netzwerk-Vorstand gelegentlich auf Kritik reagiert.

Wie jetzt einige im Netzwerk-Vorstand mit dem NDR-Journalisten Christoph Lütgert und seinen Kollegen bei „Panorama“ umgegangen sind, das hatte jedenfalls keinen Vorbildcharakter. Im Gegenteil, es verdirbt die Sitten.

Das Netzwerk hatte ursprünglich – insoweit ehrenvoll – versucht, bei der NR-Jahrestagung Anfang Juli ein Streitgespräch zwischen Lütgert und Carsten Maschmeyer zu organisieren, also mit dem Gründer des umstrittenen Finanzvertriebes AWD. „Panorama“ hatte mit Lütgert Anfang des Jahres eine vielbeachtete ARD-Sendung über den AWD produziert. Die „Panorama“-Recherchen wurden gelegentlich auch unter Kollegen kritisiert, aber der ARD gelang es unzweifelhaft, viel Aufmerksamkeit für Maschmeyers Geschäftsmethoden und seine erstaunlich engen Freundschaften mit einer Reihe mächtiger Politiker zu wecken. Auch wir beim stern – meine Kollegen Joachim Reuter, Johannes Röhrig und ich – setzten uns darauf erneut auf Maschmeyers Fährte und veröffentlichten im März eine größere Strecke über seine Geschäfte und seine Beziehungen zur Politik.

Lütgert und „Panorama“ hatten aber noch etwas anderes ausgelöst: heftige Attacken von Maschmeyer auf ihre Redaktion, die die FAZ als „Großangriff auf die Pressefreiheit“ qualifizierte. Dies bei der NR-Jahreskonferenz zum Thema zu machen, war also eine verdienstvolle Idee. Weniger verdienstvoll war der zweite Akte des Dramas: Nachdem Maschmeyer es ablehnte, mit Lütgert auf ein Podium zu steigen, schlug das Netzwerk einen anderen Gesprächspartner vor: Den Spiegel-(und früheren stern-)Kollegen Markus Grill, der ebenfalls im Gefolge von "Panorama" intensiv über Maschmeyer recherchiert und kritisch berichtet hat. Diese Konditionen akzeptierte Maschmeyer. Und als „Panorama“ darauf protestierte und Lütgert mit seinem Austritt beim Netzwerk drohte, reagierte der eigentlich sympathische Kollege Grill mit heftigen Worten: „Wir können unsere Zeit auch nicht damit verbringen, ständig Diven zu besänftigen.

Ich will die Frage offen lassen, ob es genügt, dem überaus begabten Selbstdarsteller Maschmeyer auf der Bühne alleine den – wie gesagt – kompetenten und sympathischen Kollege Grill gegenüber zu setzen. Oder ob es da nicht zumindest zwei Kollegen bräuchte.

Sicher ist aber, dass es kein Problem persönlicher Eitelkeit irgendwelcher angeblichen „Diven“ ist, wenn sich Journalisten von Gesprächspartnern nicht sagen lassen wollen, wer mit ihnen sprechen darf. Vielleicht hat im Netzwerk-Vorstand ja noch keiner erlebt, wie es kritischen Journalisten ergeht, die sich zum Beispiel mächtige Politiker zum Feind machen. Wie viel Standfestigkeit das von Redaktionen erfordert, trotzdem zu dem Redakteur zu stehen, der wegen seiner Berichterstattung boykottiert wird. Wo doch der bequemere Weg der wäre: Dem Druck nachzugeben und den Minister auf Auslandsreise von einem Kollegen begleiten zu lassen, der besser gelitten ist.

Ich selbst habe solche Situationen wiederholt erlebt und war dankbar, wenn meine Redaktion zu mir stand. Beim Netzwerk argumentiert man jetzt so, wie das die weniger standfesten Redaktionen tun: Das Thema sei zu „wichtig“, um es an Maschmeyers Boykott des „Panorama“-Mannes scheitern zu lassen, sagt zum Beispiel der eigentlich geschätzte Kuno Haberbusch.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Anders gesagt: Das Netzwerk liefert den weniger standfesten Redaktionen die moralische Rückendeckung, die sie eigentlich nicht verdient haben. Wenn es selbst das topinvestigative Netzwerk tut, warum dann nicht auch der Oberschwäbische Bote?

Ich hoffe sehr, dass ich mit dieser Meinung im Netzwerk nicht alleine stehe. Denn zu einem fruchtbaren Vereinsleben gehört auch die kritische Diskussion. Was aber, wie gesagt, im Netzwerk nicht alle so sehen. Seit ich vor knapp einem Jahr in diesem Blog ein eindeutig missratenes Buch über den Berliner Hauptstadtjournalismus kritisierte, das auf einer NR-unterstützten Studie fußte, grüßt mich der Vereinsvorsitzende Thomas Leif nicht mehr. Damit muss ich leben. So wie das Netzwerk damit leben können sollte, dass Carsten Maschmeyer ein Gespräch absagt.

Nachtrag vom 20.5.2011: Carsten Maschmeyer hat laut "Süddeutscher Zeitung" von heute (kein Link, weil nur Print) den Auftritt beim Netzwerk abgesagt. Die Debatte um den Termin habe er "mit Befremden" verfolgt, es werde ihm sogar unterstellt, er habe Netzwerk Recherche "instrumentalisiert".