Vertrauensfrage Enthaltung nach Brandt-Manier

Bundeskanzler Schröder will offenbar die Vertrauensfrage mittels einer Enthaltung der neun im Bundestag stimmberechtigten Kabinettsmitglieder zum gewünschten Ergebnis führen. Dabei hat er sich Willy Brandt als Vorbild genommen.

Die "Leipziger Volkszeitung" berichtete, die Minister mit Bundestagsmandat sollten sich bei der Abstimmung im Parlament enthalten, so dass Rot-Grün mit nur noch maximal 295 Stimmen an der Kanzlermehrheit von 301 Stimmen scheitere. Ähnlich hatte Kanzler Willy Brandt 1972 eine Bundestags-Neuwahl erreicht.

Hieb- und stichfestes Verfahren

"Dieses Verfahren ist verfassungsrechtlich hieb- und stichfest, weil die Motive für das Abstimmungsverhalten der Kollegen nicht begründet werden müssen", zitierte die Zeitung ein namentlich nicht genanntes Kabinettsmitglied. Zuvor will Schröder demnach die betroffenen Minister in der Kabinettssitzung am 29. Juni abstimmen lassen, ob sie noch ein "stetiges Vertrauen" in die Handlungsfähigkeit der rot-grünen Koalition haben. Das Votum solle daraufhin unter Hinweis auf das 1972 von Kanzler Willy Brandt praktizierte Enthaltungs-Verfahren seiner Minister ausbleiben, und am 1. Juli wie angekündigt zur Vertrauensfrage im Bundestag führen, hieß es in dem Bericht.

Ein Rücktritt Schröders zum 1. Juli oder danach ist demnach absolut ausgeschlossen. "Schröder will am Wahltag um seine rot-grüne Politik kämpfen, wenn man ihn lässt und er dann noch will", zitierte die Zeitung einen führenden SPD-Bundesminister. Ein Grünen-Bundesminister sagte dem Blatt, Schröder stehe für Rot-Grün, auch am Wahltag. "Wir haben uns das in die Hand versprochen", fügte er demnach hinzu.

Ungewissheit auf ganzer Linie

Bis auf die SPD-Ressortchefs Wolfgang Clement, Manfred Stolpe, Brigitte Zypries und Renate Schmidt haben alle Minister einen Sitz im Bundestag.

Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Hans-Christian Ströbele sagte der Chemnitzer "Freien Presse", er halte das Vorhaben des Kanzlers, Neuwahlen über eine verlorene Vertrauensabstimmung herbeizuführen, für politisch falsch und verfassungsrechtlich bedenklich. Noch sei offen, ob Bundespräsident Horst Köhler und das Bundesverfassungsgericht diesen Weg mitgingen. Die Ungewissheit über die Umstände der Vertrauensabstimmung verunsichere die Bürger und koste am Ende Stimmen. Daher müssten die Grünen hier vorab für Klarheit sorgen.

AP und Reuters