Wiesbadener Landtag Wenn der Koch zum Kellner wird

Die Mikrofone fielen aus, Tarek al Wazir wollte nicht singen, Dagmar Metzger, die Unberührbare, nahm auf der hinteren Bank Platz. Schließlich trat Roland Koch ans Pult, der neue, geschäftsführende Ministerpräsident und sprach von Offenheit. Es fiel den Abgeordneten schwer, daran zu glauben.

Horst Klee, der Alterspräsident des hessischen Landtags, hatte es nur gut gemeint. Kurz vor der konstituierenden Sitzung lässt er Plastikherzen an die Abgeordneten verteilen. In rot, schwarz, gelb und grün, den Farben der Parteien. "Mit Herz und Verstand. Horst Klee" steht in Schreibschrift auf der Vorder-, "5.4.2008" auf der Rückseite. Die Herzen sollen die Abgeordneten daran erinnern, dass sie keine Parteikrieger sind, sondern ihr Talent dem Wohl des Landes widmen sollen. Als die Sitzung vorbei ist und sich der Plenarsaal langsam leert, bleiben viele Herzen liegen. Auf einem Tisch nahe dem Ausgang stapelt sich ein ganzer Haufen. Buntgemischt.

Erste Panne schon zu Beginn der Sitzung

Schon der Beginn der Sitzung hat tragikomische Züge. Tagesordnungspunkt 1 ist: eine Panne. Die Mikrophone im nagelneuen Sitzungssaal funktionieren nicht. Also stehen die Akteure des hessischen Dramas vor ihren Sitzen und plaudern. Roland Koch, im blütenweißen Hemd und rot-blau gestreifter Krawatte, freut sich über die offene, lichtdurchflutete Architektur des neuen Saales. "Ich habe lange genug in einem Betonkäfig gesessen", sagte er stern.de, "jetzt haben wir Kontakt zur Außenwelt."

Er meint die Fußgänger, die durch die hohen Glasfenster zu sehen sind, aber seine Worte lassen sich auch als politische Metapher verstehen. Schließlich hat Kochs CDU keine Mehrheit mehr, sie muss mit anderen Parteien kooperieren. "Wir haben das alle nicht geübt", sagt Koch mit unbewegter Miene. Vielleicht muss er sogar den Antrag von SPD und Grünen durchwinken, die von der CDU eingeführten Studiengebühren wieder abzuschaffen. Man solle das Gesetzgebungsverfahren abwarten, sagt Koch. "Meine Regierung ist nicht nur eine Gemeinschaft politischen Glaubens."

Biedert sich al Wazir der CDU an?

Ein paar Meter weiter im Halbrund steht Tarek al Wazir, der Chef der hessischen Grünen. Auch er hat sich zur Feier des Tages einen Schlips umgebunden, was ihm sofort den scherzhaften Vorwurf einträgt, er biedere sich der CDU an. Als er dann auch noch Roland Koch vor laufenden Kameras die Hand schüttelt, muss er sich erklären. "Einmal Guten Morgen sagen ist noch keine Koalition", flachst al Wazir. Über die Abschaffung der Studiengebühren sagt er, dass die Vorschläge seiner Partei und der SPD zur Gegenfinanzierung praktisch abgenickt seien. Plötzlich drängelt sich ein TV-Reporter dazwischen und fordert ihn auf, etwas zu singen. Ihm falle nur der Kanon "Der Hahn ist tot" ein, meint al Wazir. Das könne er hier aber nicht singen.

FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn sitzt gleich neben den Grünen. Linker Hand hat Andrea Ypsilanti Platz genommen, die gescheiterte Hoffnungsträgerin der SPD. Ihr Gesicht ist ernst, sie trägt einen nachtschwarzen Hosenanzug. "Wir werden aus dem Parlament heraus Gesetzesinitiativen starten", sagt sie stern.de. "Es wird schwierig, aber nichts ist unmöglich." Auf die Frage, ob dieser Tag nicht eine einzige Enttäuschung für sie sei, reagiert sie schmallippig. "Mir geht es trotzdem gut", antwortet sie. In der letzten Stuhlreihe hinten türmen sich blonde Haare zu einer inzwischen bundesweit bekannten Hochsteckfrisur. Hier sitzt Dagmar Metzger, die Frau, die Ypislantis Hoffnung auf das Amt der Ministerpräsidentin vorerst vereitelt hat. Die SPD werde die Regierung Koch nun "vor uns hertreiben", sagt Metzger. Die Gretchenfrage, ob sie es sich in Sachen Ypsilanti nicht doch noch anders überlegen werde, beantwortet sie mit einem kurzen, harten "Nein". "Ich bleibe bei meiner Position".

"Ich stelle fest, dass kein Wahlvorschlag vorliegt"

Endlich funktionieren die Mikrophone, es ist 11 Uhr 40, die Sitzung kann beginnen. Das meiste ist Formsache: Rede des Alterspräsidenten, Wahl des Landtagspräsidenten, Wahl der Schriftführer, Beschluss der Geschäftsordnung. Rücktritt der Regierung Roland Koch. Dann kommt Landtagspräsident Norbert Kartmann, CDU, zur eigentlich fälligen Neuwahl eines Ministerpräsidenten. "Ich stelle fest, dass kein Wahlvorschlag vorliegt", sagt er. Schweigen im Plenum. Also wird das Kabinett Koch damit beauftragt, die laufenden Regierungsgeschäfte weiterzuführen. "Ob sie wollen oder nicht: Sie müssen es", ruft Kartmann seinem Parteifreund Koch zu.

Als geschäftsführender Ministerpräsident darf Roland Koch die erste Rede im neu zusammengesetzten Landtag halten. "Es gibt heute keine Sieger", sagt Koch im gedämpften Ton. Aber das Land Hessen dürfe deswegen nicht zum Verlierer werden. Deswegen werde seine Regierung einen neuen Stil pflegen, "offen, transparent, einladend". "Wir bekennen uns im vollen Umfang zu unseren Loyalitätspflichten gegenüber diesem Haus. Wir sind uns dabei bewusst, dass wir nicht mehr die Exekutive verkörpern, die sich bestimmten politischen Mehrheiten im Parlament sicher sein kann." Seine Regierung werde ihre Ressourcen - gemeint sind vor allem die Fachbeamten der Ministerien - auch den anderen Fraktionen zur Verfügung stellen. Die Spitzen der Fraktionen sollten sich regelmäßig treffen, er werde externe Experten bitten, als Moderatoren aufzutreten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Das klingt nach Angela Merkel - wenn Koch den Abgeordneten nicht gleichzeitig die Instrumente zeigen würde. Jede Gesetzesinitiative, das macht Koch unmissverständlich klar, werde von seiner Regierung geprüft, ob sie finanzierbar und verfassungsgemäß sei. Damit formuliert Koch zwei Vorbehalte, die es ihm erlauben, unliebsame Gesetze über Monate zu verzögern. Außerdem lässt der Konservative durchblicken, dass er nicht mit allen kooperieren wolle: Die Linkspartei soll draußen bleiben.

Andrea Ypsilanti greift in ihrer Erwiderung Kochs Angebot auf. "Vielleicht gelingt es uns, ein neues Kapitel aufzuschlagen". Alte Gräben müssten zugeschüttet werden, "wir wollen in diesem Land keinen Dauerwahlkampf". Aber sie lässt Koch auch wissen, wo sie das Machtzentrum dieser Ära sieht: im Parlament. "Das kann heißen, dass sich die Regierung dem Willen des Parlaments beugen muss", sagt die Fraktionschefin der SPD. Sollte die Regierung Gesetzesinitiativen vorlegen, will sie diese nicht einfach abnicken. "Wir behalten uns vor, sie zu verbessern, wo sie zu verbessern sind." Wie dieses Mit- und Gegeneinander in der Praxis funktionieren soll, weiß auch Ypsilanti nicht zu sagen. Es gilt Kochs Wort, dass keiner vorher hat üben können.

Die Kleinen gegen Ausgrenzung der Linken

Die Redner der kleineren Parteien, also von FDP, Grünen und Linken, wenden sich vor allem gegen die Ausgrenzung der Linken. Selbst FDP-Chef Hahn, ein alter Weggefährte Kochs, ermahnt den Ministerpräsidenten: "Die Linke ist gewählt, sie hat das Recht, ernst genommen zu werden." Tarek al Wazir, der Chef der Grünen, sagt: "Die Auseinandersetzung in der Sache gelingt am besten, wenn formal alle gleichbehandelt werden." Zwischen den Zeilen schwingt mit: Wer es Koch jetzt gestattet, die Linken auszugrenzen, muss sich nicht wundern, wenn er sich morgen eine andere Partei vorknöpft. Die Abgeordneten rebellieren aber nicht nur aus Sorge gegen Kochs Linksverbot. Ihre Kritik entspricht auch dem neuen Selbstbewusstsein des Parlaments. Roland Koch hat fünf Jahre mit absoluter Mehrheit regiert. Jetzt hat sich das Blatt gewendet. "Sie sind der Geschäftsführer", sagt Tarek al Wazir zum Ministerpräsidenten. "Und wir alle sind der Vorstand."