Das Virus überflog per Äther die Mauer, und es verbreitete sich explosionsartig. Als die Jugend im Osten die Beatles hörte und im Westfernsehen die ersten unscharfen Bilder sah, war vielen sofort klar: Das wollen wir auch! Twist And Shout.
Mitten im Nowhere Land DDR. Es gab in den Läden keine heißen Platten, keine bunten Klamotten, keine Parkas, keine Jeans. Nichts. Nur aschgraue Langeweile. Und aus der wollten die Beat-Rebellen raus: It's All Over Now! Also wurden die Songs bei Radio Luxemburg, AFN, RIAS oder SFBeat auf Tonband mitgeschnitten und Stoffläden nach brauchbaren Blumenmustern, Schottenkaros oder schrillen Streifen durchsucht. Jede heimlich eingeschmuggelte Zeitschrift aus dem Westen, jeder Beat-Club sorgte für neue Ideen. Die Nähmaschinen glühten. Es wurde bunter im Osten.
Und die Haare wurden länger. In Kellern, Lauben oder Jugendclubs versuchten Bands den Originalen so nahe zu kommen wie möglich, mit Verstärkern, die aussahen wie Toaster. The Beat Goes On. Den Parteibonzen erschien der Aufbruch zunehmend verdächtig. Es waren nicht die braven singenden FDJler und NVA-Soldaten, sondern die Beatles, Stones, Kinks, The Who, die voranstürmten. Sie traten die Tür ein und machten Platz für etwas, was es vorher nicht gegeben hatte: eine eigene subversive Jugendkultur. I Hope I Die Before I Get Old. Lasst uns leben, so wie wir wollen. Lasst uns unsere Haare, unsere Mode, unsere Musik! Satisfaction!
Der Sound der Revolution -
... der fünfte Teil der großen 68er-Serie - jetzt im neuen stern
Welch ein Schock. Die Alten waren mit den Staatsorganen selten so einig: Gammler, Penner, Asoziale! Das muss alles weg! Arbeitslager! SED-Chef Walter Ulbricht fistelte gegen "die Monotonie des jäh, jäh, jäh" und ließ die ideologischen Bulldozer auffahren. Langhaarige flogen aus dem Unterricht und wurden von der Polizei gejagt - "ordentliche" Haarschnitte mit der Revierschere inklusive. Halali. "Negativ-dekadente Jugendliche" (so die Sprachregelung), die sich vor Kulturhäusern oder Milchbars trafen, konnten völlig willkürlich zur "Zusammenrottung" erklärt werden. Und dann: Knüppel frei! Die englischen Namen der Bands kamen auf den Index, manche Beatgruppe gleich mit. Als in Leipzig tausend Rockfans gegen die Verbote demonstrierten, kam es zu Massenverhaftungen. 107 Protestler wurden für einige Wochen in den Braunkohlentagebau gesteckt - "zur Bewährung". We Love You. Selbst das Repertoire der Combos wurde zwangsverordnet: 60:40. Sechzig Prozent Osttitel, vierzig Prozent Westtitel. Nur, keiner hielt sich dran. Time Is On My Side.
Das war das Lebensgefühl der Beatgeneration - auch im Osten. Und die Schikanen und Verfolgungen schürten, was sie unterdrücken wollten: den Wunsch nach mehr Luft zum Atmen. Für eine historische Sekunde schien alles zum Greifen nahe. Die Studenten in Berkeley, Paris und Westberlin eroberten die Straßen, revoltierten gegen das Establishment und den Krieg in Vietnam. Street Fighting Man. Selbst nach Warschau und Prag griff der Funke über. Weniger wegen Vietnam - Solidarität war in den sozialistischen Ländern ja schon Staatspolitik.
Der Prager Frühling 1968 war ansteckender. Als der neu gewählte Parteichef Alexander Dubcek vom "Problem der mangelnden Freiheit" sprach und einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" verkündete, löste der Reformprozess auch Hoffnungen in der Bevölkerung der DDR aus. Set Me Free. Widerwillig notierte die Stasi: "Besonders die Meinungsäußerungen über die Erscheinungen in der CSSR sind vom Umfang und von der Intensität her ständig gewachsen." Alarm in den Apparaten. Revolution?
Die Bonzen fürchteten um ihre Macht
Die Bonzen fürchteten um ihre Macht. Und schlugen zu. Am 21. August überrollten sowjetische Panzer in Prag den Traum von einem demokratischen Sozialismus. Lähmendes Entsetzen bei vielen in der DDR. Aber auch Wut, Protest, Widerstand - im Schatten der Angst. Play With Fire. Schüler, Lehrlinge und Studenten stellten mit Kinderdruckkästen Flugblätter her, schrieben Losungen an Häuserwände, versuchten Demos zu organisieren. Doch die Unterdrückungsmaschine lief auf Hochtouren. Über tausend meist jüngere Menschen wurden festgenommen, hunderte in Untersuchungshaft gesperrt. Viele flogen von der Schule oder Uni. Es blieb nur Ohnmacht. Helpless, Helpless, Helpless.