Die angebliche Begeisterung der Deutschen bei Ausbruch des 1. Weltkriegs im August 1914 ist aus Sicht der Forschung nur Legende. "Die Menschen waren verblüfft, erschrocken und dann auch entschlossen", sagte Prof. Gerd Krumeich von der Universität Düsseldorf am Dienstag. Das Foto vom blumengeschmückten Zug mit winkenden Soldaten bestimme aber immer noch die Wahrnehmung, meinte der Historiker bei der Vorstellung einer "Enzyklopädie Erster Weltkrieg". "Das wird am schwierigsten aus den Schulbüchern herauszubringen sein." Die Begeisterung sei auf die Großstädte beschränkt gewesen, so der Mitherausgeber der neuen Enzyklopädie.
An die Wand gestellt und erschossen
Zu den in der Öffentlichkeit kaum bekannten Fakten zähle auch das Ausmaß der deutschen Kriegsgräuel gerade beim Vormarsch durch Belgien 1914, sagte Krumeich weiter. So seien in diesen ersten Kriegswochen rund 6000 Männer, Frauen und Kinder von den Deutschen oft an die Wand gestellt und erschossen worden.
Zum Buch
"Enzyklopädie Erster Weltkrieg", Herausgeber: Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, Irina Renz. Verlag Schöningh. ISBN 3-506-73913-1
Nicht zuletzt die allgegenwärtige Angst vor Heckenschützen habe die deutschen Soldaten dazu veranlasst, sagte der Militärhistoriker unter Berufung auf Forschungsergebnisse des irischen Kollegen Alan Kramer. "Der Befund ist entsetzlich."
An der 1000-seitigen Enzyklopädie haben 146 Historiker und Weltkriegsforscher aus 15 Nationen mitgearbeitet. Sie sei "ein strikt international ausgerichtetes Werk" und führe nach Jahrzehnten der Spezialisierung in der Forschung das gesammelte Wissen wieder zusammen, meinte Krumeich. Es sei das erste deutsche Werk dieser Art. Dabei würden auch bisher weniger beachtete Gebiete wie die Entwicklung der Medizin in und durch den Krieg berücksichtigt.
Brieftauben sorgten für Nachrichtenfluss
Auch die Bedeutung der Tiere wird beleuchtet. So sorgten auf deutscher Seite unter anderem 120 000 Brieftauben für den Nachrichtenfluss. Manchen Tauben wurden Kameras umgeschnallt, um Informationen vom Frontverlauf zu bekommen. Die Soldaten selbst wollten sich im unberechenbaren Granatenhagel unter anderem mit "Himmelsbriefen" - oft vor der Brust getragen - vor dem Tod schützen.