Auf seinem Balkon haben gekrönte Häupter, Sportler aber auch Nazi-Größen gestanden und sich vom Volk bejubeln lassen: Der Frankfurter Römer ist am 11. März seit 600 Jahren das Rathaus der Stadt und wohl eines der bekanntesten in Deutschland. Es war nicht nur für die Frankfurter Geschichte bedeutend, sondern im Mittelalter auch für die Geschichte des deutschen Reiches. Schließlich war Frankfurt schon seit 1356 Wahlort der deutschen Könige und wurde 1562 auch Krönungsstadt der Könige und Kaiser.
Opulente Festmähler im Kaisersaal
Davon zeugt der prachtvolle, mit Holz getäfelte Kaisersaal im ersten Stock des Römers: Dort fanden nach der Krönung des neuen Reichsoberhauptes traditionell die opulenten Festmähler statt, während sich das Volk vor dem Gebäude auf dem Römerberg vergnügte, der auch für Märkte genutzt wurde. Vor dem Mahl hatte sich der neue Kaiser im Dom gekrönt. Von dort schritt er zu Fuß über einen speziell ausgebauten Krönungsweg in den Römer.
Heute hängen in dem historischen Kaisersaal die 52 Bildnisse der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Die ehemaligen Regenten können sich oft davon überzeugen, dass "ihr" Saal immer noch für Empfänge und andere Festivitäten genutzt wird, die die Stadt ausrichtet. So auch im vergangenen Jahr zum 60. Geburtstag der heutigen Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU).
Der berühmte Balkon ziert erst seit gut hundert Jahren die Fassade des Römers. Dort zeigen sich nach internationalen Erfolgen die deutschen Fußballnationalmannschaften, aber auch andere Sportmannschaften können sich dort feiern lassen. Eine der sportlichen Höhepunkte lag in der Nazi-Zeit, als Boxer Max Schmeling 1936 nach seinem legendären Sieg gegen Joe Louis bejubelt wurde.
Von Arafat bis Kennedy
Der amerikanische Präsident John F. Kennedy wurde 1963 von 150 000 Frankfurtern auf dem Römerberg begeistert begrüßt. Zu den prominenten Balkongästen zählen auch der Dalai Lama, Michail Gorbatschow und Jassir Arafat, aber auch hochadelige Häupter wie Königin Sofia von Spanien, der japanische Kaiser Akihito oder Prinzen wie Bernhard der Niederlande und der britische Philip. Unlängst hatte auch der letzte lebende deutsche "Kaiser" seinen Auftritt, Franz Beckenbauer. Als WM-Organisationschef hielt er beim diesjährigen Neujahrsempfang im Kaisersaal seine Rede vor dem Gemälde des letzten römisch-deutschen Kaisers Franz II.
Ungute Erinnerungen ruft in Frankfurt, das wegen der Paulskirchenversammlung 1848 als Wiege der deutschen Demokratie gilt, hingegen der 13. März 1933 hervor. An diesem Tag wurde am Römer erstmals die Hakenkreuzfahne gehisst, und die Nazis übernahmen die Macht in der Stadt. Als Adolf Hitler 1938 die Stadt besuchte, war der Auftritt auf dem Balkon selbstverständlich. Die Bombenangriffe des Zweiten Weltkrieges verschonten die historische Fassade und die unteren Gewölbe des Rathauses. Alles andere wurde nach dem Krieg weitgehend wieder aufgebaut.
Ursprünglich wollte der Frankfurter Rat zu Beginn des 15. Jahrhunderts ein neues Rathaus bauen. Warum der Plan aufgegeben wurde, könne nur vermutet werden, sagt der Historiker Michael Müller vom Institut für Stadtgeschichte. "Die Altstadt war schon so dicht bebaut, da hat wohl der Platz gefehlt." Letztlich entschlossen sich die Stadtoberen, das "Zum Römer" genannte Haus zu kaufen. Für 800 Gulden und eine jährliche Leibrente von 65 Gulden wechselte der stattliche Bau seinen Besitzer. Die Herkunft der Bezeichnung "Römer" ist nicht klar, wie der Historiker sagt. "Vermutlich kamen in dem Haus zu Messezeiten römische Kaufleute unter."
"Emanzipation des Bürgertums"
Der Neuerwerb ist das mittlere der drei Häuser mit den charakteristischen Treppengiebeln, die die häufig fotografierte und erst vor kurzem sanierte Fassade bilden. Die anderen beiden, Haus Limpurg und Haus Löwenstein, kaufte die Stadt erst Ende des 16. und Ende des 19. Jahrhunderts. Wegen wachsenden Platzbedarfs kamen später die über Eck angrenzenden Patrizierhäuser hinzu. So entstand im Laufe der Zeit ein Gebäudekomplex mit einem verwinkelten Gewirr von Treppen, Gängen und Gewölben. Wer heute Römer sagt, meint den gesamten Rathauskomplex. Für Oberbürgermeisterin Roth repräsentiert der Römer "die Emanzipation des Bürgertums".