Der Dichter als Held - kaum jemand ist dieser Rolle wohl so gerecht geworden wie Sandor Petöfi. Sein Tod auf den Schlachtfeldern der Revolutionswirren 1849 berührte auch Heinrich Heine: "Wenn ich den Namen Ungarn hör, wird mir das deutsche Wams zu enge."
Gerade einmal 26 Jahre alt ist Petöfi, als er in den letzten Kämpfen um die nationale Freiheit der Ungarn stirbt. Da hat er 850 Gedichte verfasst, neun Versepen, ein Drama, einen Roman. Sein Leben lang war er ein Getriebener. "Es steht schon längst fest, dass ich kein mittelmäßiger Mensch werde: Aut Caesar, aut nihil - Kaiser oder nichts!", schrieb er 1843. Geboren am 1. Januar 1823 als Sohn eines Fleischers und einer slowakischen Magd, verlässt er nach Konflikten mit Lehrern und Vater die Schule, geht mit 16 Jahren freiwillig zum Militär, um fremde Länder kennen zu lernen. 1844 findet er als Hilfsredakteur eine feste Anstellung.
"Auf, die Heimat ruft, Magyaren!"
Er spürt das Beben in Europa im Revolutionsjahr 1848. Am 15. März führt Petöfi eine Massendemonstration durch Pest, die Menschen stimmen in sein "Nationallied" ein: "Auf, die Heimat ruft, Magyaren! Zeit ist's, euch zum Kampf zu scharen! Wollt ihr frei sein oder Knechte? Wählt! Es geht um Ehr und Rechte!"
Zeittafel
896: Fürst Arrpad erobert mit sieben Magyaren-Stämmen Ungarn
1001: Krönung König Stephans I., Ungarn endgültig christianisiert
1241: Plündernde Mongolen ziehen durch die Donau-Tiefebene
1526: Schlacht bei Mohacs: Ungarn unterliegt den Türken, wird zwischen Osmanischem Reich, Habsburgern und Siebenbürgen geteilt
1683-1699: Die Habsburger besiegen die Türken, regieren Ungarn bis 1848
1848: Revolution in Pest
1867: Geburtsstunde der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn; Vereinigung von Buda, Pest und Obuda zur Hauptstadt Budapest
1914: Ungarn kämpft an der Seite Deutschlands im Ersten Weltkrieg
1920: Im Friedensvertrag von Trianon verliert Ungarn zwei Drittel seines Staatsgebiets
1941: Ungarn tritt an der Seite Nazi-Deutschlands in den Krieg gegen die Sowjetunion ein
1945: Besetzung durch die Rote Armee
1956: Sowjetische Truppen schlagen den Volksaufstand nieder
Juni 1989: Abbau der Grenze zu Österreich
Doch die Hoffnungen Petöfis werden jäh zerschlagen. Zwar muss sich der Habsburger Kaiser Ferdinand I. noch 1848 dem Volkswillen beugen, die Leibeigenschaft aufheben und Religionsfreiheit gewähren. Doch kaum ein Jahr später fallen die Habsburger Truppen mit russischer Unterstützung wieder in Ungarn ein, Tausende Freiheitskämpfer sterben. 13 Generäle und der Ministerpräsident werden hingerichtet. Erst weitere 20 Jahre später macht Wien Zugeständnisse, entsteht die berühmte österreich-ungarische Doppelmonarchie.
Doch Ungarn erholt sich lange nicht mehr vom Scheitern der Nationalbewegung. Die Verbindung mit Österreich treibt das Land an der Seite Deutschlands in den Ersten Weltkrieg. Nach der Niederlage verliert Ungarn zwei Drittel seines Staatsgebietes. Diese Schmach hat einen ähnlichen Effekt wie der Versailler Vertrag in Deutschland: Die Menschen suchen nach Vergeltung, Ungarn wendet sich Mussolini und Hitler zu. Auch im Zweiten Weltkrieg kämpfen ungarische Soldaten an der Seite der deutschen - bis die Wehrmacht im März 1944 Ungarn besetzt, um einen Sonderfrieden der kriegsmüden Magyaren mit den Alliierten zu verhindern. Die Rote Armee kämpft bis zum 20. Januar 1945 gegen die deutschen Besatzer in Ungarn - und gegen die ungarischen Pfeilkreuzler, die Hunderttausende Juden in Konzentrationslager verschleppten.
"Gulaschkommunismus" nach 1956
Noch einmal versuchen die Ungarn eine Revolution: 1956 wird ihr Aufstand mit Hilfe der Roten Armee blutig niedergeschlagen. Doch schon bald beginnt eine innere Liberalisierung Ungarns, der "Gulaschkommunismus" kommt auf.
Der Tod Petöfis und die Niederlage der Revolution sind zum nationalen Trauma der Ungarn geworden. Bis heute hält sich das Gerücht, Petöfi sei gar nicht in der Schlacht gestorben, sondern von Russen verschleppt worden. Tatsächlich blieb die Leiche des jungen Freiheits-Dichters bis heute verschollen.