Überlebende Wie durch ein Wunder dem Tod entkommen

Fast fünf Jahre wurde Janusz Mlynarski, Häftlingsnummer 355, in Auschwitz festgehalten. Wie er das KZ und den anschließenden "Todesmarsch" nach Österreich überleben konnte, weiß er bis heute nicht. Er fühlte sich "wie in einer Trance".

"Halte durch, das sind die letzten Tage oder Wochen. Wir haben das alles jetzt schon so lange ausgehalten, jetzt müssen wir auch noch durchhalten bis zur Befreiung. Die Freiheit steht schon vor der Tür." Mit solchen Worten haben sich die Häftlinge im Konzentrationslager Auschwitz kurz vor der Befreiung vor nunmehr 60 Jahren immer wieder aufgemuntert und getröstet. Wie der Überlebende Janusz Mlynarski schildert, schöpften die Gefangenen damals Hoffnung, während sich bei den Aufsehern Untergangsstimmung breit machte.

Nervosität vor der Befreiung

Mlynarski kam am 14. Juni 1940 mit dem ersten Transport von 728 polnischen Gefangenen ins Konzentrationslager Auschwitz. Er erhielt die Häftlingsnummer 355 und wurde bis Januar 1945 im Stammlager Auschwitz I festgehalten, wo er gegen Ende seiner Haftzeit als Pfleger im Krankenbau eingesetzt war. Er erinnert sich noch gut an die Nervosität unter den Gefangenen in den letzten Wochen vor der Befreiung: "Einige sagten, wir würden alle vergast oder auf andere Weise umgebracht, vielleicht erschossen oder vergiftet. Andere sagten, das Lager würde den Russen auf vernünftige Weise übergeben. Noch andere sagten, wir würden evakuiert. Wir hatten jedenfalls alle das Gefühl, dass schon bald etwas Dramatisches geschehen würde, und wir wussten nicht, wie wir uns verhalten sollten."

Auch die Aufseher seien nervös gewesen und hätten sich plötzlich um etwas Freundlichkeit gegenüber den Häftlingen bemüht - wohl in der Hoffnung, dass diese nach dem Zusammenbruch einmal ein gutes Wort für sie einlegen würden. So hätten sie auch häufig beide Augen zugedrückt, wenn die Gefangenen sich zusätzliche Lebensmittel verschafft oder unerlaubte Kontakte zueinander gepflegt hätten.

Eindrucksvoll ist Mlynarski das Weihnachtfest 1944 in Auschwitz in Erinnerung - nur einen Monat vor der Befreiung. Nie zuvor habe eine solche Atmosphäre der Hoffnung geherrscht. Häftlinge aus den so genannten Außenkommandos mit Verbindungen zu Zivilpersonen hätten erzählt, dass die sowjetische Armee kurz vor Krakau stehe, dass einige Konzentrationslager in Polen schon aufgelöst und die Häftlinge befreit worden seien. Das sei eine sehr aufregende Zeit gewesen.

Tagelanger Todesmarsch

Mlynarski selbst wurde wenige Tage vor der Befreiung von Auschwitz aus dem Lager evakuiert und erreichte nach so genannten Todesmärschen die Konzentrationslager Mauthausen, Melk und schließlich Ebensee in Österreich. Er erinnert sich daran, wie viele Gefangene nicht mehr weitergehen konnten und einfach erschossen wurden. Heute weiß man, dass von rund 60.000 Häftlingen, die an diesen Märschen teilnahmen, mehr als 15.000 ums Leben kamen. Der weitere Transport erfolgte bei eisiger Kälte in offenen Viehwaggons. "Wie wir das alles überlebt haben, weiß ich bis heute nicht. Wir befanden uns wie in einer Trance", sagt der Zeitzeuge.

In Ebensee erfuhren Mlynarski und seine Leidensgenossen, dass Auschwitz von der sowjetischen Armee befreit worden war und die wenigen dort verbliebenen Häftlinge nicht ermordet wurden: "Da waren wir sehr traurig, dass wir uns vor der Evakuierung nicht einfach versteckt hatten. Wenn wir doch nur nicht so große Angst gehabt hätten!"

Das Lager Ebensee wurde am 6. Mai 1945 von der US-Armee befreit. An diesem Tag habe eine unbeschreibliche Freude geherrscht - und niemand sei gestorben. "Irgendwie wollten alle diesen Moment, auf den wir so lange gewartet hatten, unbedingt noch miterleben", meint Mlynarski. Einen Tag später habe es dann mehr als 200 Todesfälle gegeben.

Lynchjustiz gegenüber ehemaligen Aufsehern

Gleichzeitig habe eine grausame Lynchjustiz gegenüber den ehemaligen Aufsehern begonnen. Für Mlynarski war dies ein schreckliches Erlebnis, aber: "Vielleicht hat mir das auch dabei geholfen, meinen eigenen Hass zu überwinden. Jedenfalls konnte ich diese Form von Rache nicht akzeptieren."

Der Auschwitz-Überlebende Janusz Mlynarski wurde nach dem Krieg in Polen Arzt. Seit 1978 lebt er in Monheim in Nordrhein-Westfalen.

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Annedore Smith/AP