Die Justizvollzugsanstalt Landshut liegt nur wenige Autominuten außerhalb der Stadt, zwischen leuchtenden Getreidefeldern und Blumenwiesen. Draußen vor den hohen Betonmauern zwitschert eine Amsel auf einem Baum, drinnen wird ein mutmaßlicher Terrorist von einem Justizbeamten in ein rund zehn Quadratmeter kleines Zimmer geführt.
Der Raum ist durch eine Trennscheibe aus Plexiglas geteilt: Auf der einen Seite die stern-Reporterin, bewacht von zwei Polizisten des Landeskriminalamts Bayern. Auf der anderen nimmt Maximilian Eder auf einem Holzstuhl Platz. Er hat eine Laptoptasche mit Büchern und Aktenmappen dabei, die er umständlich auf dem schmalen Ablagebrett unter der Scheibe verteilt. Eder, 65, war mal ein angesehener Bundeswehroberst. Nun wirkt der Mann mit dem weißen, schulterlangen weißen Haar verletzlich. Die Wangen sind eingefallen, die blaue Häftlingskleidung schlackert an den dünnen Armen und Beinen, offenbar die Folgen eines 35-tägigen Hungerstreiks im vergangenen Jahr.
Seit Dezember 2022 sitzt Eder in Haft, am Dienstag beginnt in Frankfurt am Main der zweite von drei Prozessen in diesem Mammutverfahren. Dieses Mal auf der Anklagebank: Eder und weitere zentrale Köpfe der mutmaßlichen Terrorvereinigung um den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß. Der Generalbundesanwalt hält Eder für einen der Gründer der Gruppe. Laut der Anklage soll sie geplant haben, die Bundesregierung mit Waffengewalt zu stürzen. Bei Eder wurde unter anderem ein Entwurf für eine Regierungserklärung für die Zeit nach einem Putsch gefunden. Zudem soll er auch Waffen bestellt und Soldaten für den Staatsstreich rekrutiert haben.
Ein Reporterteam von stern und RTL sichtete mehr als 400.000 Dokumente der Ermittlungsakten und veröffentliche mehr als ein Dutzend Texte und eine TV-Dokumentation, die tiefe Einblicke in das Innenleben der Reichsbürgergruppe ermöglichten. Als der stern Eder einen umfangreichen Fragenkatalog schickte – und Eder als erster und bisher einziger Angeklagter öffentlich zu zentralen Vorwürfen Stellung nahm, entstand die Idee, ein Interview zu führen.
Es war überraschenderweise Eder selbst, der ein Interview vorschlug. Gegen den expliziten Rat seiner Strafverteidiger. Ein Terrorverdächtiger, der ein Interview im Gefängnis gibt, dazu noch vor Prozessbeginn? Gab es das in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt schon einmal? Das zuständige Oberlandesgericht genehmigte den Besuch einer stern-Reporterin in der Haftanstalt. Es ist ein Experiment, unter schwierigen Bedingungen: Rund 60 Minuten Zeit, überwacht vom Landeskriminalamt, aufgezeichnet durch ein Diktiergerät. Eine Stunde, um die wichtigsten Fragen in einem der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik zu besprechen. Zu kurz, um auf alles eine Antwort zu geben. Und doch genug Zeit für Eder, sich bei Widersprüchen entlarven zu lassen.
Bevor das Interview beginnt, sagt Eder, er werde keine Mitangeklagten belasten. Für das Interview wünsche er sich nur eines, "eine sachliche, unvoreingenommene Berichterstattung".
Herr Eder, Sie stehen kurz vor einem der größten Terrorprozesse, den es in Deutschland je gab, Ihnen würde bei einer Verurteilung eine lange Haftstrafe drohen. Sie haben bisher nicht einmal bei der Polizei ausgesagt. Warum geben Sie nun – so kurz vor Prozessbeginn – ein Interview?
Ich habe auch den Ermittlern angeboten, vollumfänglich auszusagen. Dieses Angebot wurde bis heute nicht angenommen. In Medien wurde in den vergangenen anderthalb Jahren viel über mich berichtet. Ich finde es gut, wenn endlich jemand mit mir redet, statt nur über mich. Es ist mir ein Anliegen, meine Sicht des Sachverhalts darzustellen.