Die Reichsbürger-Akte Kinder, geheime Tunnel, Schweizer Gauner: Wie ein Ex-Soldat die Deutschen zum Regierungssturz aufwiegeln wollte

Ein Bundeswehroberst a. D. war in der mutmaßlichen Terrorgruppe um Prinz Reuß ein zentraler Akteur. Recherchen von stern und RTL zeigen, dass Maximilian Eder einem angeblichen pädophilen Politiker-Bund hinterherjagte – wohl um einen Putschversuch zu begründen. Eine Geschichte über benutzte Kinder, eine monströse Lüge und viel Geld.
Gif zeigt Eder, der in einem Auto fährt
Maximilian Eder glaubt, dass elitäre Kreise in unterirdischen Verliesen satanistisch-rituelle Folter und Vergewaltigungen an Kindern verübten – was er beweisen wollte
© Vincent Burmeister / stern

Als sich am Rande Basels das Fenster einer Mietskaserne öffnet, kommt hinter einer Häkelgardine eine Frau in beigefarbenem Strickpulli zum Vorschein. Sigrid Mützel*, 46 Jahre alt, hat die langen braunen Haare zu einem lockeren Zopf gebunden, in ihren Augenhöhlen nisten dunkle Schatten. Ihre Familie, sagt sie, sei Opfer eines schrecklichen Verbrechens geworden.

Rund 180 Kilometer entfernt, in einer Wohnstraße auf der Schweizer Seite des Bodensees, liegt eine Erdgeschosswohnung mit großen Fenstern und kahlen Wänden, keine Möbel. Die Tür ist noch voller Aufkleber, darauf Überwachungskameras, Kampfhunde, Totenköpfe. "Die beiden Brüder mit den Rottweilern", sagt eine Nachbarin, seien vor etwa einem halben Jahr verschwunden. Von den Hausdurchsuchungen und Vernehmungen durch die Polizei weiß sie offenbar nichts.

Eingangstür der verlassenen Wohnung der Brüder R.
In der Nähe des Bodensees liegt eine leerstehende Erdgeschosswohnung, die Tür voller Aufkleber: Überwachungskameras, Kampfhunde, Totenköpfe. "Die beiden Brüder mit den Rottweilern", sagt eine Nachbarin, seien vor etwa einem halben Jahr verschwunden
© Tina Kaiser

Die Frau im Fenster und die verwaiste Wohnung sind Teil einer Geschichte, die ins Herz einer Finsternis führt. Sie handelt vom wahnhaften Glauben einer Gruppe von Reichsbürgern an massenhaften Kindesmissbrauch in geheimen unterirdischen Tunneln. Und, in der realen Welt, von zwei Schweizer Ganoven, einem geplanten Waffengeschäft und dem Elend zweier Kinder, das die Reichsbürger-Gruppe für ihre Zwecke instrumentalisierte.

All das sind Zutaten eines geplanten Putsches, den der Generalbundesanwalt 26 Männern und Frauen um den Frankfurter Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß und Rüdiger von Pescatore, früher Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons, vorwirft. Deutschlands Chefankläger hält sie für eine Terrorvereinigung, die mit Waffengewalt die Bundesregierung stürzen und Politiker, Richter und Behördenmitarbeiter im ganzen Land festnehmen wollte. So steht es in seiner Anklage. Der erste Prozess soll Ende April beginnen. Es ist eines der größten Terrorverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik.

Festnahme von Prinz Reuß vor seinem Haus mit mehreren uniformierten Polizisten
Am 7. Dezember 2022 nahmen Sonderkommandos in ganz Deutschland mutmaßliche Mitglieder der Gruppe fest, so auch Heinrich XIII. Prinz Reuß in Frankfurt am Main
© Boris Roessler / Picture Alliance / DPA

Ein zentraler Akteur war demnach Maximilian Eder, 65, Oberst a. D., einst im Stab des Kommandos Spezialkräfte, einer Eliteeinheit der Bundeswehr. Eder, laut Anklage ein Gründer der Gruppe um Reuß, gehörte demnach deren militärischem Flügel an. Seine Anführer sollen eine bewaffnete Schattenarmee mit Dutzenden Mitgliedern aufgebaut haben. Der stern hat im Januar (stern Nr. 5/2024) exklusive Einblicke in Pläne und Innenleben dieser Gruppierung gegeben.

Nun zeigen Recherchen von stern und RTL, dass Eder offenbar auch eine Begründung suchte, die die Deutschen von der Notwendigkeit eines Staatsstreichs überzeugen würde. Er reiste durchs Land. Auf Kundgebungen erzählte er, dass deutsche Politiker in unterirdischen Tunneln pädophile Verbrechen begingen. Er wähnte diese Tunnel in der Schweiz.

Erschienen in stern 15/2024